Selbstreflexion im Spiegelkabinett. Macht und Ohnmacht der Medienmacher

Was Journalismus ist? Konkret ist das leicht gesagt: Geht an den Kiosk, schaltet den Fernseher an, hört Radio. Abstrakter ließe sich sagen: Journalismus heute sind Fakten, die unterhalten, und Fiktionen, die Wirklichkeiten schaffen. Journalismus trägt zur Selbstverständigung der Gesellschaft bei, indem er Weltgeschehen erzählt. Und er bietet die viele faszinierende Möglichkeit, sich hauptberuflich mit Politik zu beschäftigen, ohne Politiker zu sein. Aber was ist guter Journalismus? In jeden Fall verletzlich und von vielen Mechanismen bedroht. 

Die Mechanismen, die guten Journalismus heute gefährden, sind subtil – und sie sind nicht abzustellen: Es sind die gleichen Mechanismen, die freie Presse erst ermöglichen, die ihr gleichzeitig gefährlich werden können. Es gibt keinen Ausweg aus diesem Dilemma, aber ein Bewusstsein dieser Mechanismen ist notwendig, um Medien machen, aber auch um sie nutzten zu können. Da ist zum einen der Medienmarkt, auf dem sich Formate und Blätter gegen die Konkurrenz behaupten müssen. Ein notwendiger Mechanismus, um Meinungsfreiheit und Qualität zu sichern. Man muss ihn kennen, will man verstehen, weshalb ein Artikel so und nicht anders geschrieben, eine Talkshow so und nicht anders besetzt ist. An dieser Stelle greift ein zweiter Mechanismus: die Kommerzialisierung der journalistischen Berichterstattung, die zwingend einsetzt auf einem Markt, auf dem klassische journalistische Formate mit immer mehr auch interaktiven Unterhaltungsangeboten um die Zeit der Nutzer konkurrieren. Die beiden Marktmechanismen beschneiden innere und äußere Pressefreiheit subtiler und vielleicht massiver, als es die zur Recht massiv kritisierte Parteibuchwirtschaft in Chefetagen oder das Prinzip eines einflussreichen Verlegers tun. Ein dritter Mechanismus wird gerade in der gegenwärtigen Krise spürbar, von der noch nicht ganz sicher ist, ob sie sich als konjunkturelle Krise oder Strukturveränderung herausstellen wird: die Finanzen. Die Werbeeinnahmen vor allem der Printmedien sind eingebrochen, teils zeitweise, wegen schlechter Konjunktur, teils für immer abgewandert in neue Medien wie das Internet. Was bedeutet: Für die Journalisten Stellenabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, für die Leser ein sinkendes Niveau der Berichterstattung und ein Verlust von Auswahl und Formaten. 

Verantwortung tragen. Journalismus als vierte Gewalt

 Wenn der Hochglanz um den Traumjob Journalismus verblasst, geht es nicht nur um persönliche Berufsperspektiven und Karrieren, sondern um mehr. Die Verbindung zwischen Medien und Politik ist eng: Politik in einer Demokratie braucht Medien als Kontrollinstanz, als vierte Gewalt. Es geht also auch um Demokratie. Vielfältig sind die Zusammenhänge zwischen Medien und Politik, zumal in Deutschland. Es ist der Föderalismus, dem wir unsere im europäischen Vergleich enorme Vielfalt an Zeitungen und öffentlich-rechtlichem Rundfunk verdanken. An der Diskussion um eine Vertiefung der politischen Einigung Europas merken wir, was wir an unserem Mediensystem haben, gerade weil es auf europäischer Ebene eben fehlt: Eine europaweite Diskussion um europäische Identität, konkret etwa um eine europäische Verfassung, kann nicht stattfinden, weil die nötige mediale Infrastruktur nicht existiert. Auch wenn innerhalb Deutschlands die Kommunikation über Medien weitgehend funktioniert, hat sie Schwächen, die es um des politischen Systems willen zu beheben gilt, trägt doch Medienverdrossenheit entscheidend zur Politikverdrossenheit bei. 

Journalismuskritik. Selbstreflexion im Spiegelkabinett

Journalismus wird von den Lesern oft nahtlos mit Politik identifiziert. Politik scheint die Agenda zu setzen, über die gesprochen wird. Der Journalismus, so fordert etwa Bettina Gaus von der taz in unserem Beitrag in FES&CO, muss sich die Definitionsmacht darüber zurückholen, was Thema ist. Berichterstattung muss sich von Institutionen, Parteien und Personen lösen. Und vor allem: Ehrlichkeit von den Akteuren auf der politischen Bühne einfordern, statt – wie derzeit en vogue – Glaubwürdigkeit. Das Schlagwort „Glaubwürdigkeit“ zeigt eines der großen Probleme des gegenwärtigen Journalismus: Er kreist um sich selbst. Immer in Gefahr, nicht Inhalte von Politik zu kritisieren, sondern deren medientaugliche Inszenierung. Zu wenig dringt die Frage ins Bewusstsein, ob wirklich nur Politikstile Berichterstattung oder nicht doch auch Berichterstattung Politikstile verändern kann. Stimmt man den zu, wachsen mit einem Schlag Macht und Verantwortung der Medien. Was macht eine gute Journalistin, einen guten Journalisten aus? „Wenn man nicht selbst Lust an Politik hat, wird man sehr schnell zynisch und gelangweilt. Beides sind Haltungen, die nicht gut sind“, so Heribert Prantl, Ressortchef Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung im Gespräch mit dem FORUM. Das wichtigste ist Neugier: „Man sollte sehr, sehr neugierig sein, Lust auf Neues haben, Lust darauf, Dinge herauszufinden und zu bewerten.“ 

Journalist werden. Ausbildung zwischen Theorie und Praxis

Journalistik als Fach in Forschung und Lehre hat zwei genuine Referenzfelder: das medienpraktisch-journalistische und das akademische. Im Niemandsland dazwischen sammeln Studierende die wichtigsten Erfahrungen. Christian Schmidt, der in Leipzig Journalistik studiert, erzählt in STIPI-INTERN von den zwei Welten des Studiums und der Freien Mitarbeit, von Theorie und Praxis. Journalistische Ethik und Medienrecht, Kommunikationswissenschaft und Medienpädagogik stehen auf dem Lehrplan, Realität aber ist nur draußen erfahrbar: „Oft verstellen ganz banale Hürden wie Zeitdruck, Personalmangel, Themenflaute oder abstürzende Rechner den heiligen Weg des gesegneten Journalismus aus dem Hochglanzprospekt, der auf Ethik, Sauberkeit und political correctness so großen Wert legt. Die hohe Schule ist nur unter besten Bedingungen durchzusetzen.“ Typisch deutsches Dilemma? Clemens Bomsdorf erzählt ebenfalls in STIPI-INTERN von seinem Rundfunkpraktikum in Island, wo der klassische Weg in die Politik über den Journalismus führt.  Beim Hörfunk wird in Island noch gearbeitet, „wie beim WDR vor 20 Jahren“: Es wird weniger auf Länge geschielt, strikte Zeitbegrenzungen wie bei den deutschen Öffentlich-Rechtlichen gibt es nicht, ein Radiointerview kann durchaus 20 Minuten dauern. Doch die Idylle hat auch Schattenseiten: „Genau wie in der BRD entscheidet oft nicht journalistische Qualität, sondern das richtige Parteibuch“ – zumindest bei der Besetzung von Chefposten. 

Journalistinnen. Der weibliche Blick auf die Welt

Doch nicht nur Parteizugehörigkeit ist Faktor im deutschen Journalismus: Ein weiterer mächtiger Faktor, ist offenbar noch immer – das Geschlecht. Auch wenn Journalismus mittlerweile kein genuiner Männerberuf mehr ist, gibt es doch fast keine Chefredakteurinnen, keine Herausgeberinnen und keine Intendantinnen – so die Bilanz von Schema F: Journalistinnen und Politikerinnen, einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Ein weiblicher Blick auf die Welt aber wird sich nur durchsetzen, wenn er oben in der Hierarchie angesiedelt ist, wo definiert wird, wie gearbeitet wird. 

Tissy Bruns, Leiterin des Parlamentsbüros der Zeitung „Die Welt“ und Vorsitzende der Bundespressekonferenz fordert Veränderung auch bei den Frauen: „Frauen, die den öffentlichen Raum betreten, müssen lernen, mit Verletzungen umzugehen. Frauen müssen die Doppeltaktik lernen, gleichzeitig Seilschaften zu bilden und in Konkurrenz zueinander zu stehen.“ Ob eine Anpassung an das männliche Karriereverhalten wirklich der Königinnenweg sein kann, ist umstritten; unumstritten dagegen, dass Demokratie solange unvollkommen sein wird, wie der weibliche Blick in der Weltsicht der Medien Randphänomen ist.

 

Bisher erschienen als »Selbstreflexion im Spiegelkabinett«, in: FORUM 1/2003, S. 3 und »Macht und Ohnmacht der Medienmacher«, in: Medien in der Krise. Hier geht’s raus. Köln 2003, S. 12-13

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