Jeder will der Schwächere sein

Die Frage nach dem Verhältnis von Medien und Politik gleicht der nach dem von Henne und Ei. Wer ist abhängig von wem? Wer kontrolliert wen? Wer ist mächtiger? Wer Schuld an Politikverdrossenheit? Das hochkarätig besetzte Seminar in der Berliner Medienszene hat vor allem eins gezeigt: Die Antwort fällt je nach Gesprächspartner anders aus. Politik und Journalismus schieben sich gegenseitig Schuld und Verantwortung in die Schuhe, jeder will der Schwächere sein – zumindest in der Außenwirkung.

Die Medien hätten längst das agenda setting übernommen und machten selbst Politik, jammert der Regierungssprecher, die Journalisten seien bloße Verkünder richtiger und falscher Entscheidungen, Fehler machten allein die Politiker, die deshalb die eigentliche Macht und die Verantwortung für das gefährliche Phänomen der Politikverdrossenheit hätten, klagt der Leiter des Berliner Parlamentsbüros der BILD.

Selbstkritische Töne gegenüber der eigenen Profession sind seltener, eigentlich vernimmt man sie nur auf der Seite der Journalisten, die sich der vertrackten Situation ihrer Profession bewusst sind: Sie müssen die Nähe zur Politik suchen und zugleich Distanz von ihr halten: „Je näher man den entscheidenden Leuten ist, desto besser weiß man Bescheid – man ist ihnen aber nur nah und weiß nur gut Bescheid, solange die Gesprächspartner darauf vertrauen können, nicht ungebührlich ausgenutzt zu werden. Man wird nicht zensiert, aber man zensiert sich ununterbrochen selbst“, so Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung.

Nur bei einer Sache schienen sich Medienvertreter und Politiker ungewohnt einig: Wesentlich stärker als der Einfluss der Politik auf die Medien oder der Medien auf die Politik ist der der Wirtschaft – auf Medien und Politik. Auch darüber ließe sich ein interessantes und wichtiges FES-Seminar machen.

Erstmals erschienen als »Jeder will der Schwächere sein, zumindest in der Außenwirkung. Für das Verhältnis von Medien und Politik in der Hauptstadt gilt vor allem eines: Schuld sind immer die anderen«, in: FORUM 2/2004, S. 47 als Kommentar zu einem Tagungsbericht über „Medien und Politik in der Hauptstadt“ 2004.

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