»Der Warencharakter des Buches wird weiter zunehmen«. Edda Ziegler im Interview

 

Dr. Edda Ziegler lehrt Literatur- und Buchwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2004 erschien ihre Geschichte des Piper Verlages. Susanne Krones sprach mit ihr über Verlagsgeschichtsschreibung, die aktuelle Situation der Branche und Zukunftsperspektiven des Mediums Buch …

 

Es gibt wenige Verlage, deren Namen im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sind. Piper als renommiertes Verlagshaus ist eine der seltenen Ausnahmen. Was hat diesen Verlag in den 100 Jahren seines Bestehens so groß und populär gemacht?

Wenn man von heute ausgeht: Piper tritt als Marke in Erscheinung. Das schaffen nur wenige Verlage. Primär liegt das an der Serie Piper, also am Taschenbuch, und auch an deren visuellem Auftritt. Der Weg dort hin war weit. Reinhard Piper hat den Verlag als Kunstverlag der Avantgarde gegründet, Schwerpunkt war immer das Sachbuch. Die zweite große Phase waren die 50er Jahre, als Klaus Piper den Verlag übernommen und populäre Wissenschaft gemacht hat: Politik, Psychologie und Naturwissenschaften, Jaspers, Hannah Arendt, Mitscherlich, Konrad Lorenz und große Physiker. Er hat ein populäres Wissenschaftsprogramm auf die Beine gestellt, dem er internationale Beststeller beigesellt hat. In der dritten Phase, nach dem Ende des Familienverlags, setzt man dann noch stärker auf Bestseller, vor allem im Sachbuch – hier muss heute natürlich der Name Michael Moore fallen.

Denken Sie, Piper hat diese Trends nur erkannt und aufgegriffen, oder hat er die großen Namen erst so groß gemacht wie sie letztlich geworden sind?

Ich würde sagen: Sie sind ihm passiert. Wenn ich überlege, wie lange es gedauert hat, bis Piper erkannt hat, wer Hannah Arendt ist und wie brisant und aktuell ihre Bücher sind, dann kann man sagen, man musste ihn zum Jagen tragen. Bei Mitscherlich war es genauso. Der Verlag hat vor dem großen Erfolg überhaupt nicht verstanden, welche Brisanz und welche gesellschaftliche Relevanz das Buch Die Unfähigkeit zu trauern in den 60er Jahren hatte.

Gibt es Momente in der Geschichte des Piper Verlages, die charakteristisch sind auch für andere Publikumsverlage unserer Zeit?

Es gibt natürlich eine Phase, die immer Brennpunkt der deutschen Verlagsgeschichte sein wird: Die Geschichte der Verlage im Dritten Reich. Das zweite wesentliche Moment ist, wie ein Verlag die Kurve kriegt vom Verlegerverlag zum Publikumsverlag, also von einem Typ Verlag, in dem der Verleger das verlegt, was er selbst gern lesen möchte, zu einem heute aktuellen Typ, der verlegen muss, was das potentielle Publikum vielleicht gern lesen möchte. Das dritte wäre das Problem der Generationenkonflikte und der Nachfolgeregelung. Wie geht es einem Familienverlag in der dritten Generation, die ja gemeinhin als die kritische gilt. Das kriegen die wenigsten hin.

Sie unterrichten Buchwissenschaft an einem Institut für deutsche Literaturwissenschaft: Wie wichtig sind Verlags- und Buchhandelsgeschichte für Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte? Was bedeutet das Wissen um die Marktzusammenhänge etwa für die literaturwissenschaftliche Interpretation?

Wenn ich mir die Entwicklung der Buchwissenschaft in Deutschland anschaue – und Deutschland heißt in diesem Fall primär München, weil wir die ersten waren, die solche Studiengänge konzipierten und durchsetzten –, dann sind sie in der Literaturwissenschaft Kinder der 70er Jahre und Kinder einer sozialgeschichtlich orientierten Literaturwissenschaft, die aufgehört hat, nur nach dem Text zu fragen, und angefangen hat, gesellschaftliche und institutionelle Bedingungen der Literatur, Autorensoziologie, Rezeptionsgeschichte und Vermittlungsbedingungen, also den literarischen Markt mit in den Blick zu nehmen. Da liegt der Urgrund der Buchwissenschaft. Die zweite große Bedeutung der Buchwissenschaft liegt darin, parallel zur Expansion der Universitäten, steigenden Studentenzahlen und neuen Studienabschlüssen, mehr Praxisbezug und eine Orientierung auf den Arbeitsmarkt in das geisteswissenschaftliche Studium gebracht zu haben.

Wie wissenschaftlich und objektiv kann Verlagsgeschichtsschreibung sein? Gerät man nicht sehr leicht in Abhängigkeiten, z.B. was den Zugang zu Dokumenten aus Verlagsarchiven betrifft?

Dieses Thema ist nicht ohne Brisanz, es geht um die Frage des Erkenntnisinteresses. Traditionell wurden Verlagsgeschichten in der Regel von den Unternehmen selbst geschrieben, als Rückblick von Insidern auf die eigene Geschichte. Wenn man Verlagsgeschichte aus buchwissenschaftlicher Sicht betrachtet, legt man eine Außenperspektive, eine wissenschaftliche Perspektive an das Material an: Kriterien sind dann die buchgeschichtlichen Bedeutung eines Verlags, seine Stellung in der Literaturgeschichte oder auch in der Wissenschaftsgeschichte, wenn es sich um einen Sachbuchverlag handelt. Da gelten natürlich andere Konditionen und andere Prioritäten. Leichter ist das, wenn der Verlag als Objekt der Untersuchung, nicht mehr im Familienbesitz ist. Da treten die Prioritäten der Eigentümer etwas zurück. Andererseits ist es so, dass, wenn ein Verlag in einem Konzern aufgeht, das Interesse an dessen individueller Geschichte und Entwicklung abnimmt. Im Fall Piper war die Situation günstig, weil der Verlag nicht mehr im Familienbesitz ist, aber weiter selbstständig arbeitet, und weil das Hundertjährige auch ein Datum ist, wo man ein öffentliches Interesse an einer solchen neutralen und umfassenden Darstellung besteht. Insgesamt lassen sich natürlich Konflikte nicht ganz vermeiden, weil der Wunsch der Verlage nach einer PR-kompatiblen Darstellung verständlicherweise besteht –  der eine will das Dritte Reich ausblenden, der andere die gegenwärtige Situation. Ich habe bei der Piper -Verlagsgeschichte gute Arbeitsbedingungen gehabt, habe mir die aber beim damaligen Verlagsleiter Viktor Niemann auch ausdrücklich ausbedungen.

Gerade für die kleinen und mittleren unabhängigen Verlage bedeutet die Krise des Buchmarkts harten Gegenwind: Immer mehr von ihnen müssen schließen oder werden, Beispiel Luchterhand, von einer Hand in die andere verkauft, bis sie schließlich einem großen Konzern eingegliedert werden. Wie wird sich der Buchmarkt Ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickeln?

Die neuesten Zahlen von »Buch und Buchhandel in Zahlen« zeigen diesen Schrumpfungsprozess ganz deutlich – eine Tendenz nicht nur im Buchmarkt, sondern in der Wirtschaft generell, die, wenn man das Ganze aus der Distanz betrachtet, sinnvoll ist, wenn auch bitter für die, die den Prozess erleiden müssen. Der Markt kann nicht immer weiter wachsen; folglich entsteht ein Verdrängungsprozess. Generell haben andere Medien die Rolle des Leitmediums übernommen, das Buch hat sie nicht mehr. Die Schere zwischen den Kleinen und den Konzernen wird sich immer weiter öffnen, auf der Seite des herstellenden wie auf der  des verbreitenden Buchhandels. Für die Kleinen liegt darin auch wieder eine Chance, weil sie auf die Kommerzialisierungswelle in Nischen mit Verweigerung reagieren können. Das ist es, wohin meine Hoffnung geht: dass sich solche Nischen immer mehr ausbilden werden. Oft ist es aber so, dass solche Unternehmen kein langes Leben haben, weil sie an eine Person gebunden sind und letztlich doch irgendwann in Konzernen aufgehen.

Was geht für Autoren und Leser dabei verloren?

Der Warencharakter des Buches wird weiter zunehmen. Für die Leser wird die Folge sein, dass das Sortiment sich immer stärker einschränkt, es wird eine Nivellierung geben auf schnell drehende Ware – so wird es der Leser wahrnehmen. Die Autoren werden immer mehr zu Dienstleistern, das kreative Potential ihrer Arbeit wird immer weniger wahrgenommen werden, der Autor schlicht Lieferant eines Manuskripts. In Konzernen sind die Autorenbindungen nicht so ausgeprägt; es gibt keine solch individuellen Autorenpflege wie im traditionellen mittelständischen Haus; man konzentriert sich vor allem auf Lizenzen, um den Vermarktungs- und Gewinn-Prozess abzukürzen – all das wird die Situation des Autors verändern. Man kann diese Entwicklung am aktuellen Umgang der Verlage mit jungen deutschen Belletristik-Autoren exemplarisch betrachten.

Was sind für Sie aktuell die Verlage, die heute Literaturgeschichte schreiben, also die Gegenwartsliteratur verlegen, die über das 21. Jahrhundert hinaus Bestand haben könnte?

Das ist schwierig zu beantworten. Vielleicht der Carl Hanser Verlag und immer noch Suhrkamp. Und wenn ich an internationale Literatur denke, würde ich noch den Rowohlt Verlag nennen.

Wie schaffen diese Verlage das?

Entscheidend ist die Verlegerpersönlichkeit mit ihrer Nase für die Texte und ihrem Händchen für die Autoren. Bei beidem können Konzernverlage nicht mithalten. Aber auch Verlage wie Hanser, Suhrkamp und Rowohlt brauchen eine Backlist gut laufender Autoren, die das Risiko tragen, das mit einer solchen Programmpolitik verbunden ist.

Welcher Verlagsneugründung der letzten 20 Jahre trauen Sie zu, es in 80 Jahren zu einer ähnlich vielfältigen, ereignis- und erfolgreichen Jubiläums-Bilanz zu bringen?

Ich tendiere dazu, zu sagen: Die Zeiten sind dafür zu kurzlebig. Ich sehe in den letzten 20 Jahren keine Neugründung, die diesen langen Atem zeigt. Wahrscheinlich kann das gar nicht sein, weil Buch und Lesen als Kulturmedium gefährdet sind. Der Markt ist in zu radikalem Umbruch, man kann für das 21. Jahrhundert keine Prognose abgeben.

 

 

Erschienen als: Susanne Krones: »›Der Warencharakter des Buches wird weiter zunehmen‹. Interview mit Edda Ziegler«, in: FORUM 2/2004, S. 62f.

 

 

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