Kauf mich, lies mich! (12.11.2008)

In München wurde heute die 49. Münchner Bücherschau eröffnet. Über 300 Verlage aus dem gesamten deutschsprachigen Raum stellen jedes Jahr auf der Münchner Bücherschau aus. Das ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was auf der Frankfurter Buchmesse auf den Besucher wartet – eine kleine Ausstellung für Leserinnen und Leser eben, mit attraktivem Veranstaltungsprogramm für ein breites Publikum, keine der großen Fachmessen für Branchenvertreter aus dem In- und Ausland. Und dennoch ist der Bruchteil groß genaug, um einen an ein Missverhältnis zu erinnern, das jeder Leser, jede Leserin kennt: Zu viele spannende, wichtige, gut gemachte Bücher in den Buchläden und Bibliotheken und demgegenüber zu wenig Zeit, auch nur einen Bruchteil davon zu lesen. Und doch weiß jeder auch: Nur eine minimale Auswahl aller Ideen und Manuskripte schafft es überhaupt in Buchform bis auf die Ladentische und in die Regale. Auch die meisten dieser Titel spült es nach wenigen Monaten wieder hinaus, wenn die nächste Welle Neuerscheinungen anrollt – nur wenigen gelingt der Sprung über die Feuilletons der Zeitungen und die Literatursendungen des Fernsehens ins öffentliche Bewusstsein. Welche Bücher erreichen auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Leser? Wer entscheidet darüber? Welche Mechanismen steuern den Buchmarkt?

Die große Selektionsmaschine Buchhandel besteht aus dem herstellenden Buchhandel oder Verlagsbuchhandel einerseits, aus dem verbreitenden Buchhandel oder Sortimentsbuchhandel andererseits. Auf ihren Input wirken Agenten und Scouts, auf ihren Output Literaturkritiker und professionelle Literaturvermittler an Schulen und Universitäten, Literaturhäusern und anderen Institutionen des Kulturbetriebes massiv ein.

Schöpferische Genies oder professionelle Dienstleister? Die Autorinnen und Autoren

Autorinnen und Autoren, so die gängige Vorstellung, schreiben ihre Texte aus eigenem Impuls – und damit natürlich auch auf eigenes Risiko, falls kein Verlag sie vervielfältigen und verbreiten möchte. In der Belletristik ist das oft tatsächlich so, im Sachbuch dagegen ist es üblich, dass Verlage Titel zu Themen, die sie für gefragt und wichtig halten, in Auftrag geben – meist bei etablierten Sachbuchautoren, die Fachkompetenz in bestimmten Bereichen mitbringen, vor allem aber die Fähigkeit, ihr Wissen einem großen Publikum zu vermitteln und packend zu schreiben. Bei neuen Autoren sind mutige Entdecker gefragt, Verleger wie Kurt Wolff oder Ernst Rowohlt, die trotzdem an einem Autor wie Franz Kafka festhielten, obwohl sich von seinem Landarzt zunächst nur 1000, von der Betrachtung nur 800 Exemplare verkaufen ließen. Doch solche Verleger haben es heute zunehmend schwerer, da Verlage nicht nur untereinander, sondern vor allem zu einer wachsenden Zahl neuer elektronischer Medienangebote in Konkurrenz stehen. Ein Autor hat mehrere Möglichkeiten, sein Buch an einen Verlag zu bringen: Viele Autoren schicken ihr Manuskript unverlangt ein, einige gehen es professioneller an und lassen sich von einer Agentur vertreten. Agenten vertreten Autoren, indem sie deren Manuskripte einer Vielzahl von Verlagen anbieten und sie meistbietend verkaufen. Kommt es zu einem Abschluss, verdient die Agentur an den Honoraren des Autors mit. Eine Garantie auf Erfolg bietet auch das nicht, denn gute Agenturen wählen ebenfalls aus, wen sie vertreten. Ausländische Autoren werden den Lektoraten meist über Scouts empfohlen, die im Ausland sitzen und von dort für mehrere Verlage weltweit arbeiten.

Traumberuf Lektor? Lektorinnen und Lektoren als Produktmanager

Auf welchem Weg auch immer das Manuskript in den Verlag gelangt, es wird auf dem übervollen Schreibtisch einer Lektorin oder Lektoratsassistentin landen. Dort wird es nicht nur eines von hunderten sein – auch die Annahme von unverlangten Manuskripten insgesamt ist nur eine von vielen Aufgaben, die das Lektorat zu bewältigen hat. In erster Linie sind Autoren Produktmanager: Sie planen das zukünftige Programm voraus und wickeln die aktuelle Produktion ab. Das erste bedeutet: lesen, lesen, konzipieren – aber auch rechnen. Es gilt, deutsche Manuskripte und ausländische Bücher zu prüfen, die sich übersetzt im eigenen Verlag gut machen würden, Gutachten zu erstellen, Kontakte zu Autoren, Übersetzern und Grafikern  zu pflegen und Übersetzungsförderungen zu beantragen – alles mit Blick auf Machbarkeit und Bezahlbarkeit, also auf den Markt hin. Das zweite bedeutet vor allem: Handwerkszeug. Hier gilt es Manuskripten anzunehmen, zu beurteilen, zu bearbeiten, Veränderungsempfehlungen zu geben, Manuskripte in der Endstufe zu korrigieren und satzfertig zu machen, Vorschautexte, Klappen- und Rückentexte für das Buch, Kurztexte für Presse und Werbung zu verfassen, Grafiker und Illustratoren für Ausstattung und Umschlag auszuwählen und deren Arbeit zu begleiten.

Mit jeder ihrer Entscheidungen tragen Lektoren eine große Verantwortung ihrem Verlag gegenüber, Anekdoten über abgelehnte Bestseller wie Robert Schneiders Schlafes Bruder und Umberto Ecos Im Namen der Rose sind Legion. Gute Lektorinnen und Lektoren machen sich für bestimmte Programmsegmente einen Namen, so hat etwa Kerstin Gleba für Kiepenheuer & Witsch die Popliteraten um Benjamin von Stuckrad-Barre und die Generation Kind von Malin Schwerdtfeger bis Benjamin Lebert gemacht und dabei die KiWi-Paperbackreihe als Erfolgsformat für neueste deutsche Literatur etabliert. Der Piper Verlag hat seiner ehemaligen Lektorin Tanja Graf etwa die Wiederentdeckung von Sandor Marais Die Glut zu verdanken. Tanja Graf ist mittlerweile selbst Verlegerin des SchirmerGraf Verlags. Händchen für Ästhetik, Technik und Finanzen gefragt! Die Allround-Talente in der HerstellungVerlagshersteller arbeiten eng mit Lektorat und Werbeabteilung zusammen und geben dem Buch die endgültige Gestalt. Hersteller sind dabei nicht selbst Techniker, sondern Mittler zwischen Verlag und technischen Betrieben. Kaum ein Verlag verfügt über eigene technische Ausstattung, Reproduktion, Druck, Bindung und oft auch der Satz werden auf einem großen, internationalen Markt eingekauft. Auf diesem Markt muss sich der Hersteller auskennen: Er muss wissen, welche Qualität zu welchem Preis angeboten wird und auf dieser Basis in Absprache mit dem Lektorat das Buch kalkulieren.Bei der Ausstattung eines Buches gilt es eine Vielzahl von Detailentscheidungen zu treffen – bezüglich Format, Papierbeschaffenheit (Volumen, Laufrichtung, Farbe, Gewicht, Haptik, Opazität), Papiersorte, Bilder und Bildsprache, Typographie, Satzangaben (Schriftgrad, Zeilenabstand, Laufweite, Schriftschnitt, Satzbreite, Zeilenzahl), mögliche Textelemente (Überschriften, Initial, Pagina, Fußnoten, Kolumnentitel, Tabellen, Bildlegenden, Merksatz, Marginalien, Register), Einband (Hardcover, Deckenband, Softcover, Broschur), Bindungsarten (Fadenheften, Fadensiegelung, Klebebindung, mechanische Bindungen wie die Spiralbindung), Bezugsvarianten (Leder, Halbleder, Leinen, Halbleinen, Papier, Kunststoff), die Form des Buchrückens (runder Rücken, gerader Rücken), Farben und Extras (Kapitalband, Schutzumschlag, Leseband, Schuber, Einbandveredelung).Natürlich ist Belletristik anders auszustatten als eine Gesetzessammlung, ein Kochbuch muss anderen Ansprüchen genügen als ein Wörterbuch, ein Reiseführer und ein wissenschaftliches Fachbuch dürften in der Ausstattung wenig gemeinsam haben. Doch haben Lektor und Hersteller nicht nur das individuelle Buch vor Augen, wenn sie sich Gedanken und die richtige Ausstattung machen, sondern immer auch seine jeweilige Konkurrenz auf dem Markt. Und die ist groß.

Ein Buch ins Gespräch bringen – oder am besten zu »Lesen!« Das schwierige Geschäft der Presseabteilung

Da Werbung nur für verkaufsträchtige Bücher in Betracht kommt, ist für Verlage eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit essentiell. Die Pressestelle pflegt Kontakte zu Journalisten und anderen Multiplikatoren, sie versendet Programmvorschauen und Rezensionsexemplare, Informationsmaterial und vorbereitete Pressetexte an Redaktionen und wertet das Presseecho der eigenen Titel wiederum für die Lektorate aus. Außerdem bereitet die Pressestelle Pressekonferenzen, Lesungen und Veranstaltungen mit den Autoren des Hauses vor und vermittelt ihren Autoren Interviewtermine mit Journalisten. Ein mühsames Geschäft, denn den Literaturredakteuren steht oft viel weniger Platz in ihrem Medium zur Verfügung, als sie gerne zur Verfügung hätten und die Zahl der Neuerscheinungen ist groß. Wie viele Literaturseiten eine Zeitung anbietet, hängt auch davon ab, wie viele bezahlte Verlagsanzeigen die Zeitung akquirieren kann. Der größte Coup – etwa ein Titel in einem so reichweitenstarken und im Buchhandel außerordentlich wirksamen Format wie Elke Heidenreichs »Lesen!« – bleibt Glückssache.

Verkaufen, die erste: Vertrieb und Auslieferung

Der Vertrieb ist die Abteilung des Hauses, der die Kontakte zu den Vertretern, zum Sortimentsbuchhandel und zur Auslieferung hält. Die meisten Verlage lassen die Bücher ausliefern, ein externer Dienstleister packt die Buchpakete, schreibt die Rechnungen und versendet sie. Der Vertrieb korrespondiert mit dem Buchhandel über Konditionen – »Elf-Zehn«, »Zweiundzwanzig-Zwanzig« oder sogar »Reizpartie« heißen Chiffren und Namen für verschiedenen Typen von Rabatten – und bereitet die Vertreterkonferenz vor. Auf der Vertreterkonferenz stellen die Mitarbeiter des Hauses den Handelsvertretern das neue Programm vor: Das Lektorat präsentiert die Bücher inhaltlich, Werbung, Marketing und Presse stellen ihre Strategien vor, diese Bücher gut im Markt zu platzieren. In vielen Häusern haben die Vertreter auch ein Mitspracherecht, was die Cover der Bücher angeht: Vertreter wissen, was am Ladentisch funktioniert und was nicht. Die Vertreter besuchen auf den sog. Vertreterreisen alle Sortimentsbuchhandlungen ihres Gebietes und nehmen deren Bestellungen auf. Vertreter kleinerer Verlage haben oft Schwierigkeiten, ihre Titel anzubringen, denn auch im Sortiment gibt es derzeit gravierende Veränderungsprozesse: Die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen werden weniger, die Konzentration auf wenige große Filialisten nimmt zu. Für die Kunden bedeutet das: Das Angebot in den Buchhandlungen wird kleiner und allgemeiner, es findet einen Konzentration auf schnell drehende Ware statt, ausgefallene Programmbereiche sind nicht mehr vorrätig.

Verkaufen, die zweite: Rechte und Lizenzen

Inhalte sind das Kapital eines Verlages. Klar, dass Verlage versuchen, von ihren Inhalten mehrfach zu profitieren: Nicht nur eine erste Originalausgabe, meist im Hardcover, wird produziert, in der Regel verkauft der Originalverlag die Rechte für die Taschenbuchausgabe an einen Taschenbuchverlag oder produziert sie im eigenen Haus. Außerdem werden Verhandlungen für Auslands- und Buchgemeinschaftsausgaben sowie für kleine Nebenrechte aufgenommen. Kleine Nebenrechte  sind bspw. Vorabdrucke, Aufnahme Anthologien, Lesungen im Rundfunk oder Dramatisierungen. Die übrigen Nebenrechte reichen von Filmrechten bis zu gemeinsamen Projekten mit Aldi, von der Abnahme einer Teilauflage durch einen interessierten Industriekonzern, etwa als Kundengeschenk, bis zu dem Projekt, das von vornherein mit einem Klavierhersteller entwickelt wurde. Für die Verlage ist das Geschäft mit den Nebenrechten überlebenswichtig, denn kaum ein Buchprojekt schreibt in der ersten Auflage schwarze Zahlen. Natürlich fällt einem Verlag eine Entscheidung für einen neuen Autor leichter, wenn sein Buch eine Fülle von Nebenrechten verspricht, sich etwa für eine Verfilmung und für den internationalen Markt eignet.

Verkaufen, die dritte: Werbung und Marketing

Werbung für Bücher zu machen, ist nicht ganz leicht. Da Bücher weder im Hochpreissegment angesiedelt sind wie etwa Autos, oder in enormen Stückzahlen identisch produziert werden wie Zigaretten, sind große landesweite Kampagnen auf Plakatwänden und in Zeitschriften undenkbar. Werbemittel für Bücher sind im wesentlichen Händlerwerbung: Eine halbjährliche Vorschau für den Buchhandel, Anzeigenwerbung im Börsenblatt des deutschen Buchhandels, ein guter Messestand, Werbebriefe an Buchhandel und Auch-Buch-Vertriebe wie Warenhäuser, Spielwarengeschäfte und Musikalienhandlungen. Nur für Bestseller und ihre Autoren gibt es große Kampagnen, die den Regeln eines professionellen Autorenmarketings folgen, etwa für Stephen King. Was das Marketing für das gesamte Verlagshaus angeht, fahren Verlage unterschiedliche Strategien: Wenige Verlage setzen auf eine eigene Corporate Identity, wie etwa Ravensburger, Gräfe und Unzer oder Diogenes, gerade Belletristikverlage versuchen eher jedem Titel individuell gerecht zu werden.

Die Eigendynamik der Buchmaschine

Auf jeder der genannten Stufen findet ein Austarieren statt zwischen dem, was ein Verlagshaus gerne machen möchte und dem, was der Markt verlangt. Je größer die Konkurrenz für das Medium Buch wird und je mehr Verlage mit immer mehr Büchern um die Gunst von immer weniger Lesern konkurrieren, umso härter wird der Wettbewerb zwischen den Verlagen. Immer mehr unabhängige Verlagshäuser wie einst Luchterhand (heute bei Random House Bertelsmann) werden von großen Konzernen aufgekauft. Für Autoren wird der Einstieg schwieriger, da Autorenentdeckung und –pflege gerade bei kleinen Verlagen groß geschrieben wird.

 

Mit anderem Vorspann erstmals erschienen als Susanne Krones: »Literatur & … Markt«, eine Folge der Serie »Literatur & …«in FORUM 2/2004.

 

 

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