Eine Schule für Walter Höllerer (19.12.2008)

Heute würde der Literaturwissenschaftler, Literaturförderer, Herausgeber und Autor Walter Höllerer, Mitglied der Gruppe 47 und Herausgeber der Literaturzeitschriften Akzente und Sprache im technischen Zeitalter seinen 86. Geburtstag feiern.

Die Staatliche Realschule Sulzbach-Rosenberg hat sich entschieden, sich nach dem Literaturwissenschaftler und Autor Walter Höllerer zu benennen, und wird ab jetzt Walter-Höllerer-Realschule heißen. Eine schöne Idee, denn mit dem Literaturwissenschaftler und Autor Walter Höllerer haben sich Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Träger der Schule für jemanden entscheiden, der sich nie damit zufrieden gegeben hat, einen Beruf zu ergreifen, und das Leben, das sich daraus ergibt, nach Schema F zu leben, sondern der immer über Grenzen geschaut und sie überschritten hat: die Grenze zwischen Literatur- und Technikwissenschaften etwa, die zwischen Literaturwissenschaft und Literaturbetrieb, die zwischen eigenem Schreiben und der Förderung anderer Autoren.

Sie haben sich für jemanden entschieden, der ein großartiger Lehrer war, weil er begeistern konnte, und dessen Schülern in Wissenschaft und Literatur Großes gelungen ist. Der renommierte Berliner Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Miller sagte über Walter Höllerer: »Er lehrte seinen Umgang mit der Literatur nicht wie ein Gelehrter oder wie ein Schulgründer. Er lehrte durch die Selbstverständlichkeit seines Beispiels«. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass beschrieb in Versen, wie es Höllerer gelang, Autoren dazu zu bringen, schreibend über sich hinauszuwachsen: »Er lehrte uns hochstapeln / und tanzen auf einem Seil, / aus Wörtern gezwirnt.«

Sie haben sich für einen Germanisten entschieden, der gezeigt hat, dass die Germanistik notwendig eine internationale Wissenschaft ist und dass sie präsent sein muss im öffentlichen Diskurs, wenn sie ihre Berechtigung haben soll, und der versucht hat, die Grenzen zwischen Literatur, Literaturkritik und Literaturwissenschaft, die in Deutschland unverhältnismäßig hoch gezogen sind, durchlässig zu machen.

Sie haben sich für einen mutigen Gründer entschieden, der das Literarische Leben der Bundesrepublik revolutioniert hat: durch die Gründung des Literarischen Colloquiums Berlin, das bis heute als eine der renommiertesten Institutionen Spitzenförderung im Bereich Literatur betreibt, durch seine Veranstaltungsreihen seit »Literatur im technischen Zeitalter«, die in hochkarätiger und internationaler Besetzung ein großes und bunt gemischtes Publikum anzogen, wie Literatur es bis dahin nicht erreicht hatte. Dieter Hildebrandt hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Veranstaltungsreihe »Ein Gedicht und sein Autor« in der Berliner Akademie der Künste bemerkt: »Was Höllerer anfaßt, gelingt ihm. Und: Sein Interesse an der Literatur hat noch etwas von der ursprünglichen Bedeutung des Dazwischenseins, des Mitmischens.« Der Verleger Michael Krüger über Walter Höllerer: »Ohne Zweifel war er der generöseste Mensch, dem ich je begegnet bin: Er teilte gerne, nahm Anteil, förderte, auch wenn ihm dadurch die Zeit für die eigene schriftstellerische Arbeit fehlte. Nun fehlt er uns. So einen wie ihn wird es nie mehr geben: den Provinzler aus der Oberpfalz, der es zum freundlichen König der Literatur brachte.«

Und nicht zuletzt für einen Dichter, von dem der Dichter Peter Rühmkorf schreibt: »Ich, der ihn von mindestens zwanzig Seiten kannte, auch von seinen frühen Gedichten, die ich heute noch auswendig kann und beim Spazierengehen manchmal vor mich hin zitiere, zähle ihn eher zu jener seltenen menschlichen Spezies, die man poetische Naturen nennt, weil sich alles, worauf sie werbend mit dem Finger zeigen, zu Poesie verwandelt.«

Ein Grenzüberschreiter, ein großartiger Lehrer, ein wegweisender Forscher, ein mutiger Gründer, dazu ein Dichter – einen geeigneteren Namenspatron kann es für eine Schule kaum geben. Mich freut es, dass eine Schule Walter Höllerers Elan, seiner Tatkraft und Energie ein lebendiges Denkmal setzt und so an eine Persönlichkeit erinnert, wie sie uns in der heutigen Kultur- und Bildungspolitik, im Hochschul- und Literaturbetrieb fehlt. An eine Persönlichkeit, die junge Menschen neugierig aufs Leben und ihnen Mut machen kann, sich nicht in eine Schublade stecken zu lassen, sondern engagiert und tatendurstig eigene Wege auszuprobieren und dort mutig Neues anzufangen, wo ›das Richtige‹ einfach noch nicht erfunden ist.

Walter Höllerer ist am 20. Mai 2003 in Berlin verstorben. Seine Gründungen – das Literarische Colloquium in Berlin etwa oder die beiden Literaturzeitschriften Akzente und Sprache im Technischen Zeitalter – sowie seine Schüler prägen das Literarische Leben in Deutschland noch heute.

Foto: TUB / Pressestelle der Technischen Universität Berlin

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2 Kommentare zu “Eine Schule für Walter Höllerer (19.12.2008)”

  1. Geschrieben von Reiner am 30. Dezember 2008 um 12:45 Uhr

    Liebe Frau Krones,
    schöne Internetseiten und ein schönes Engagement für Ihre Studenten, toll!
    Als Sulzbacher freut mich besonders, dass Sie an Walter Höllerers Geburtstag erinnern. Ihm verdankt die Stadt das Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, interessante Archivbestände für Literaturwissenschaftler aus der ganzen Republik und für die Bevölkerung ein hochkarätiges Programm an Autorenlesungen und Literaturveranstaltungen, das eine Stadt dieser Größe sonst nicht zu bieten hätte.
    Sie kennen das Haus ja sicher, Frau Krones, wer es noch nicht kennt, kann hier klicken:
    http://www.literaturarchiv.de
    Reiner

  2. Geschrieben von Markus1 am 30. Dezember 2008 um 13:59 Uhr

    Liebe Frau Krones,
    Sie erinnern an eine wichtige Persönlichkeit für die bundesrepublikanische Nachkriegsliteratur, die heute weitgehend aus dem öffentlichen Fokus verschwunden ist. Walter Höllerer hatte ja als Organisator mit weitreichenden Kontakten maßgeblich dazu beigetragen, dass beispielsweise die Gruppe 47 im In- und Ausland derart bekannt werden konnte. Als Organisator wirkte er im Hintergrund und unterstützte den „Vater“ der Gruppe 47, Hans Werner Richter. Die literarischen Zeitschriften „Akzente“ und „Sprache im technischen Zeitalter“, deren Herausgeber Walter Höllerer war, fungierten nicht zuletzt auch als eine Art Sprachrohr der Gruppe 47, als es darum ging, der Mitte der 60er Jahre laut werdenden Kritik an der Gruppe Paroli zu bieten.
    Viele Grüße
    Markus1