»Demokratie ist Diskussion – insofern habe ich eine wichtige demokratische Aufgabe«. Heribert Prantl im Interview

Heribert Prantl, promovierter Jurist und früherer Richter, ist Ressortchef Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung. Susanne Krones sprach mit ihm über seinen Beruf, Voraussetzungen und Stellenwert von Qualitätsjournalismus, die Wechselwirkung von Medienberichterstattung und Politik und die Krise der deutschen Zeitungsbranche.

In Ihren Leitartikeln lernt man Sie als jemanden kennen, der auch bei scharfer Kritik beinah liebevoll an Details arbeitet, etwa wenn Sie in Ihrer Argumentation weit ausholen in Geschichte, Mythologie und Literatur. Lieben Sie die Politiker bzw. das politische Tagesgeschäft an sich?

 

Ja – anders ginge es auch nicht gut. Ich bin jetzt fünfzehn Jahre im politischen Journalismus und die Verhaltensweisen von Politikern, die Grundstrukturen des politischen Geschäfts sind immer wieder die gleichen. Wenn man nicht selbst Lust an Politik hat, wird man sehr schnell zynisch oder gelangweilt. Beides sind Haltungen, die nicht gut sind. Die Leistung des politischen Journalisten wie auch des Fachjournalisten besteht darin, für den Leser eine komplexe Materie zu durchdringen und so zu verarbeiten, zu zerkauen und wiederzugeben, dass einer, der diese Möglichkeiten, diese Zeit, dieses Wissen nicht hat, sie auch verstehen kann. Das ist das eine. Das andere ist, ich muss das so wiedergeben, dass es auch gut lesbar ist. Nur wenn es mir Spaß macht, zu schreiben, macht es dem Leser auch Spaß zu lesen. Journalisten müssen mit Sprache so umgehen können, dass es reizt, zu lesen.

 

Würde es Sie reizen, die Seiten zu wechseln und ein politisches Amt anzustreben?

 

Es gibt wenige Beispiele von Journalisten, die das versucht haben: Etwa der große Rudolf Augstein, der für ein paar Wochen im Bundestag saß und dann gemerkt hat, dass er als Bundestagsabgeordneter der FDP sehr viel weniger bewirken kann als als politischer Journalist und Herausgeber des SPIEGEL. Es gibt andererseits das Beispiel von Günter Gaus, bei dem der Wechsel in die Politik wirklich gut funktioniert hat. Man kann nicht sagen, prinzipiell soll ein Journalist nie in die Politik gehen. Aber man muss realistisch sein: Politik kann in Deutschland außerhalb von Parteien nicht professionell betrieben werden, man braucht also eine Basis in einer Partei. Von außen in eine Partei einzusteigen und zu glauben, bloß weil man sich in einem Bereich gut auskennt, wäre man schon ein guter Politiker, das ist Hybris.

 

Wie eng ist ihr Verhältnis zu den Bundespolitikern?

 

Man muss vertraut sein mit dem, was passiert. Die Schwierigkeit ist immer bei politischen Journalisten – ganz gleich ob man Nachrichten, Reportagen oder Leitartikel schreibt: Wenn man zu nah dran ist, entwickelt sich die Schere im Kopf. Wenn ich Leute jeden Tag sehe und vertraut mit ihnen umgehe, kann also eine Scheu entstehen, wirklich kritisch zu bleiben. Wenn ich aber dieser Gefahr entgehen möchte und zu sehr auf Distanz bleibe, kann es mir passieren, dass ich nichts erfahre. Zwischen diesen beiden Polen muss man balancieren.

 

Aus der Sicht der Nutzer wird der Journalismus oft nahtlos mit der Politik identifiziert. Müsste es nicht eine institutionen-, personen- und parteienfernere Berichterstattung geben und müssten sich nicht die Medien die Definitionsmacht dessen, was wichtig ist, die sie offenbar an die Politik abgegeben haben, zurückholen? Über Organisationen wie Attac wird, abgesehen von Negativschlagzeilen, kaum berichtet, kontroverse Vorschläge, mit denen Politiker in ihren eigenen Parteien chancenlos sind, werden erst gar nicht diskutiert.

 

Die Beobachtung, die Sie machen ist richtig. Das hat damit zu tun, dass der journalistische Betrieb zu sehr fixiert ist auf tägliche Parteipolitik. Die Meinungsäußerung des Vorsitzenden der FDP oder des Innenausschusses des Bundestages findet sehr viel mehr Raum als die der Sprecher wichtiger gesellschaftlicher Gruppen wie Attac oder Pro Asyl, wobei sich schon etwas geändert hat. Vor fünfzehn Jahren, als ich angefangen habe, haben solchen Gruppen überhaupt kein Gehör gefunden; heute gibt es zwar Reportagen, große Stücke auf der Seite 3, aber wenn es um das Meinungskonzert geht, sind diese Stimmen unterrepräsentiert. Das gilt besonders für die Wirtschaftsteile, wo Globlisierungskritik ihren Platz haben müsste. Die aber sind auf Unternehmenspolitik und klassische Wirtschaftspolitik fixiert. Und da ist eine Organisation wie Attac noch immer nicht als Player anerkannt, sondern nur die klassischen Akteure: Die Regierungen, die die Wirtschaftspolitik machen, die Unternehmen und ihre Verbandssprecher, der Währungsfonds und andere Einrichtungen. Es dauert, bis der Wirtschaftsjournalismus merkt: Auf dem Schachbrett stehen neue Figuren, und diese Figuren sind nicht so ganz unwichtig, wie man meint.

 

Insbesondere im Verlauf des letzten Bundestagswahlkampfs empfand ich die Medien in hohem Maß als selbstreflexiv. Sie haben oft nicht Inhalte, sondern ihre Darstellung und Vermarktung kritisiert, am deutlichsten im Schlagwort der »Glaubwürdigkeit«. Aus Sicht taktierender Politiker mag dieses Wort seine Logik haben, doch müssten die Medien nicht vielmehr »Ehrlichkeit« einfordern?

 

Ihre Kritik trifft zu. Hier ist der Journalismus oberflächlicher geworden, zumindest in den Teilen, die stark wahrgenommen werden. Natürlich findet man in großen Zeitungen auch ganz andere Geschichten – der haarefärbende Bundeskanzler findet bei uns eher in der Glosse statt, im Streiflicht –, aber generell stimmt es: Da ist der Journalismus in gewisser Weise auch ein Abbild von Politik. Es wird viel geredet, viel geschrieben, viel analysiert über Showpolitik und Spaßpolitik, und man kann immer fragen: Was war zuerst, die Henne oder das Ei? Betreiben Politiker und Parteien Politik in diesem Stil, weil es bei den Medien so gut ankommt, oder ist es umgedreht?

 

Wie sehen Sie das? Glauben Sie, dass Darstellungsformen der Medien Politikstile verändern können oder reagieren die Medien auf die veränderten Politikstile?

 

Das ist ineinander verdreht und kaum trennbar. Aber die Branche muss sich schon vorwerfen, vorher selbst zu dem beigetragen zu haben, was sie anschließend kritisiert. Ein bisschen mehr Selbstkritik könnte durchaus nicht schaden. Die Art und Weise wie Politik sich inszeniert, hat natürlich damit zu tun, wie die Medien die Inszenierung auf nehmen und übernehmen.

 

Wird bei Pressekonferenzen und Parteitagen mehr inszeniert, seit es Live-Übertragungen ganzer Veranstaltungen gibt, etwa bei Phönix?

 

Bei Parteitagen ist es ganz augenscheinlich so, dass sie mehr und mehr für das Fernsehen inszeniert werden: Die wichtigen Reden und Wahlergebnisse werden so präsentiert, dass sie in den Tagesthemen auftauchen können, die Wirkung wird penibel kalkuliert. Journalisten müssen sich immer wieder fragen, in wie weit sie darauf ›hereinfallen‹, oder besser: darauf eingehen und reagieren. Es ist, um noch einmal auf Ihre Frage nach Taktik und Glaubwürdigkeit zurückzukommen, nicht unsere Aufgabe, zu bewerten, ob Forderungen der Politik taktisch klug und richtig inszeniert sind. Unsere Aufgabe muss sein, in der Sache zu kritisieren. Im vorletzten Bundestagswahlkampf fiel ein die Ökosteuer betreffender Beschluss der Grünen, der etwas unzulässig auf »Fünf-Mark-Beschluss« reduziert worden ist. Die Kommentare haben sich fast ausschließlich damit befasst, ob es taktisch klug war, diesen Zeitpunkt zu wählen. Ich kann aber nicht sagen, die Parteien führen immer inhaltsleerere Wahlkämpfe, wenn ich vorher auf die Partei eindresche und sage: Da ist zwar ein Inhalt, aber den habt ihr zum falschen Zeitpunkt präsentiert. Da sind die Medien auch ein bisschen schizophren.

 

Ist Politikverdrossenheit also auch Medienverdrossenheit?

 

Einen Zusammenhang gibt es schon, weil die Medien es nicht unbedingt schaffen, den ganz normalen politischen Betrieb als notwendigen politischen Betrieb zu beschreiben. Zum Beispiel einen Gesetzgebungsgang darzustellen, bei dem es normal ist, dass es verschiedene Vorschläge gibt, dass es Streit gibt, dass es eine erste, zweite und dritte Lesung gibt, dass es Ausschüsse gibt und im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens Auseinandersetzungen und Abänderungen ganz normal sind. Betrachtet man die Berichterstattung, hat man das Gefühl, dass der normale demokratische Streit als negativ betrachtet wird. Es liegt bisweilen ein Hauch von »Weimar« in der Luft, wo das Parlament als »Quasselbude« denunziert wurde. Das ist nicht vorbei. solange man nicht begriffen hat, dass Rede und Streit nicht schädliche, sondern notwendige Bestandteile demokratischer Kultur sind. Politik- und Medienverdrossenheit hängen auch mit der Intensität zusammen, mit der Medien Politik schildern; Intensität heißt dabei nicht Tiefe, sondern Häufigkeit. Leser und Zuschauer bekommen oft nicht mit, worum es gerade geht, weil zu häufig zu kleine Ausschnitte berichtet werden, die sich nicht ordnen lassen. Das Problem ist wie ein großes Puzzle: Zusammengesetzt ergibt es ein ordentliches Bild, aber der Leser bekommt in Zeitung oder Fernsehen oft nur kleine Schnipsel geliefert, mit denen er nichts anfangen kann. Ein anderes Bild fällt mir zur Berichterstattung über Politiker ein: Der Medienbetrieb ist ein großes Mikroskop; in den letzten zehn Jahren hat er sich immer näher an das Objekt, das untersucht wird, herangeschraubt. Wer schon einmal durch ein Elektronenmikroskop geschaut hat, weiß: Man erkennt das Ganze nicht mehr. Fehler von Politikern, private Schwächen werden durch diese Nähe so verzerrt, dass das Publikum das Verhältnis überhaupt nicht mehr beurteilen kann. Alles wird zum Skandal und die Relationen werden nicht mehr gewahrt.

 

Sind die beiden Mechanismen – das Puzzle und das Mikroskop – auch die Ursache dafür, dass die Deutschen zunehmend das Vertrauen in die Medien verlieren?

 

Es ist immer schwierig, ›die‹ Medien zu betrachten. Da schmeißt man wirklich alles in einen Topf. Man müsste differenziertere Umfragen haben, und Boulevardzeitung, regionale und großen überregionale Zeitungen getrennt erfassen. Auch ›das Fernsehen‹ lässt sich nicht pauschalisieren. Ich bin sicher, man würde bei differenzierte Fragestellung ein anderes Bild bekommen. Nach meinen Erfahrungen ist das Vertrauen in eine Zeitung wie unsere doch noch ein ziemlich großes. Daran arbeiten wir auch jeden Tag sehr penibel und mit großer Anstrengung und Freude.

 

Was macht für Sie Qualitätsjournalismus aus?

 

Erstens eine akribische Arbeit mit Nachrichten. Zweitens eine kritische Nachrichtenanalyse, die verhindert, was ich gerade kritisiert habe: dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Qualitätsjournalismus stellt im Dickicht der Informationen Wegweiser auf und verdeutlicht den Menschen Entwicklungen, stellt Nachrichten in einen Kontext und macht sie so verstehbar. Drittens der Kommentar, der einordnet, der anregen oder aufregen, überzeugen oder zum Widerspruch herausfordern muss. Der Kommentar ist ein Element, das einen Überzeugungsprozess im Leser selbst auslösen soll, einen Diskussionsprozess mit seiner Umgebung, seiner Frau, seinen Kollegen. Wenn ein Kommentar das leistet, ist er gut.

 

Ist es leicht, dem immer nachzukommen? Viele Stipendiaten, die erste Praxiserfahrung im Journalismus gesammelt haben, sind schockiert, wie schmal der Grat zwischen redaktioneller Freiheit und der Abhängigkeit von Anzeigenkunden ist bzw. besonders im kleinstädtischen Lokaljournalismus die Verflechtung von Politik, Journalismus und ortsansässigen Unternehmen.

 

Vielleicht ist man da bei einer großen Zeitung wie der SZ auf einer Insel der Seligen. Die Politiker, mit denen man bei einer großen Zeitung umgeht, kennen die Spielregeln.  Es passiert einem nicht, wie es Lokaljournalisten in Regionalzeitungen ergehen mag, dass der Bürgermeister nach negativer Berichterstattung dem betreffenden Redakteur einfach keine Informationen mehr gibt. Manchmal geht es ja sogar soweit, dass Lokaljournalisten zur Stadtratssitzung nicht mehr zugelassen werden und vor Gericht klagen müssen. Bundespolitiker haben ein anderes Gefühl für das, was Demokratie verlangt. Wenn Kritik sachlich bleibt, ist meine Erfahrung die, dass sie oft sogar zu einem guten Gespräch führt, weil gute Politiker daran interessiert sind, sich mit jemandem auseinanderzusetzen der anderer Meinung ist. Die Probleme, die Sie schildern, die gibt es, und ich kenne sie auch, aber die spielen sich eher im regionalen und lokalen Bereich ab.

 

Sehen Sie diesen Qualitätsjournalismus durch die momentane Krise der Zeitungsbranche ernsthaft in Gefahr?

 

Eine Zeitung wie die Süddeutsche Zeitung ist nicht in Gefahr. Es gibt eine finanzielle Krise, weil bekanntlich der Anzeigenmarkt eingebrochen ist. Viele Zeitungen sind an neue Eigentümer verkauft worden, ohne dass sich irgendwas negativ geändert hat: Die Berliner Zeitung, der Tagesspiegel, viele andere. Bei der Süddeutschen geht es nicht um einen Verkauf, sondern darum, ob zu den fünf Eigentümern ein sechster dazukommt, der neues Geld mitbringt. Ich habe da keine Befürchtungen. Befürchtung hätte ich, wenn Redaktionen aus Kostengründen so massiv abgebaut würden, dass seriöse und sorgfältige Arbeit nicht mehr möglich ist.

 

Wie ist es, wenn Personal reduziert wird, um wirtschaftliche Probleme zu lösen? Das geht doch auf Kosten der Qualität etwa von Redaktion und Recherche. Begeht der Qualitätsjournalismus damit nicht Selbstmord aus Angst vor dem Tod?

 

Da muss man höllisch aufpassen. Wenn man spart, weil die Lage schwierig ist, darf man nicht dort sparen, wo die Qualität der Zeitung betroffen ist. Sonst hat man, wenn die Anzeigenlage sich bessert, eine Zeitung, die keine gute mehr ist. Natürlich brauche ich, wenn sich eine Zeitung vom Umfang her einschränkt – weniger Anzeigenseiten bedeuten ja weniger Textseiten – auch weniger Journalisten. Eine Wochenendausgabe, die 200 statt 250 Seiten hat, ist nicht zwangsläufig schlechter. Aber es bleibt ein schmaler Grat: Wenn ich nur noch zwei Nachrichtenseiten hätte, könnte ich nicht mehr abbilden, was wichtig ist. Man kann lange darüber reden, wo die Grenze ist; momentan ist sie nicht überschritten. Bei einem weiteren Abbau kann ich mir schon vorstellen, dass sie überschritten würde und man sich eingestehen müsste: Jetzt kann ich nicht mehr richtig recherchieren, jetzt habe ich nicht mehr genügend Leute, die den Themen, die sie analysieren und kommentieren mit genügend Sachverstand gewachsen sind.

 

War es Ihrer Ansicht nach richtig und unumgänglich, dass die Süddeutsche Zeitung das jetzt-Magazin eingespart hat? Viele SZ-Leser meiner Generation sind über das jetzt zur SZ gekommen.

 

Es kommt in erster Linie auf die Zeitung an. Die muss jenseits aller Beilagen alle Zielgruppen anzusprechen. Für all diese Leute ist die Hauptzeitung da. Und Zusatzangebote sind eben Zusatzangebote, sie sind nicht unverzichtbar. Insofern ist die Entscheidung aus Sicht des Verlages verständlich, obwohl ich bedauere, dass es das jetzt nicht mehr gibt, weil ich von meinen eigenen Kindern weiß, dass es ein Zugang war und dass dort Formen möglich waren und eine Art und Weise des Journalismus, wie man ihn in der normalen Zeitung nicht machen kann. Das Produkt fand ich toll, seine Akzeptanz war außerordentlich hoch.

 

Halten Sie die momentane Krise der Medienbranche für eine konjunkturelle oder wird sie eine tiefgreifende Veränderung im Mediengefüge bewirken – und etwa die Funktion der Tageszeitung verändern?

 

Es ist eine schwere konjunkturelle Krise. Sie wird aber der Zeitung nicht den Todesstoß versetzen. Natürlich ist Bewegung im Gang: Die Tageszeitungen haben die Funktion der Wochenzeitungen übernommen. Analyse, Einordnung und Essay waren früher der Wochenzeitung vorbehalten, heute bieten das die Tageszeitungen täglich. Was die ZEIT lang und breit auf sechs Seiten Dossier hat, findet der Leser kompakter auf der Seite 2 in der SZ und auch in anderen großen Zeitungen: Das Thema des Tages, ein kurzes Dossier. Die Tageszeitungen haben damit ihrerseits auf die elektronischen Medien reagiert: Sie können nicht mehr einfach nur Nachrichten abbilden, das machen elektronischen Medien uneinholbar schneller. Jetzt müssen sich die Wochenzeitungen fragen, was ist das Ihre ist, sonst werden sie Schwierigkeiten bekommen. Die Tageszeitungen haben diese Aufgabe gut geschafft. Die Frage wird sein, ob es unter den großen überregionalen Tageszeitungen einen Konzentrationsprozess geben wird.

 

Was ist Ihre Prognose?

 

Durchaus vorstellbar ist, dass es langfristig in Deutschland nur noch zwei große Tageszeitungen geben wird, die eine wird die FAZ, die andere die SZ sein. Die beiden Großen haben aktuell seit einem Jahr zum ersten Mal Schwierigkeiten; die Welt dagegen schreibt seit vielen Jahren rote Zahlen, der Frankfurter Rundschau geht es seit längerem schlecht. Jede Zeitung, die stirbt, ist ein schrecklicher Verlust, weil Vielfalt in der Zeitungslandschaft etwas sehr Kostbares ist.

 

Bascha Mika, Chefin der taz, hat in einem Ausblick auf das Jahr 2012 prognostiziert, dass bis dahin auch die großen Zeitungen von ihrer verkauften Auflage werden leben müssen – wie es heute nur für die taz charakteristisch ist; dadurch würden große Blätter teurer. Teilen Sie diese Einschätzung? Wird dadurch sachliche und sachlich-richtige Information nicht zu einem Luxusartikel für eine bestimmte intellektuelle und politische Elite?

 

Ich halte Bascha Mikas Prognose für nicht unrealistisch. Mir hat neulich eine Leserin geschrieben, ihr täte es sehr weh, dass die SZ in den roten Zahlen ist, sie würde sich ohnehin fragen, ob die Zeitung nicht zu billig ist, wenn ein Kaffee am Kiosk doppelt so teuer ist wie die SZ, von der sie länger etwas hat. Diese Frau hat Recht. Eine Zeitung ist eigentlich unter Wert verkauft. Das Gefühl dafür, dass eine Zeitung nichts kosten darf, ist dadurch gesteigert worden, dass es in der letzten Zeit viele kostenlose Anzeigenblätter gab und den Menschen viel Gedrucktes nachgeschmissen wurde. Von der journalistischen Qualität her schlecht, aber: Auch eine Zeitung. Das Gefühl dafür, dass hinter den großen Zeitungen ein gewaltiger Apparat steht, Auslandskorrespondenten, Inlandskorrespondenten, viele hundert Journalisten, und dass das kostet, dieses Gefühl ist ein bisschen geschwunden. Ich halte es schon für realistisch, dass man dem Leser klar machen könnte, es ist auch für ihn besser, wenn er etwas mehr bezahlt, als wenn seine Zeitung von allen möglichen Zufällen der Konjunktur und des Anzeigengeschäftes abhängig ist. Natürlich kann eine Tageszeitung einen solchen Sprung nicht alleine machen, diesen Preisschritt nach oben müsste die deutsche Publizistik zusammen unternehmen.

 

Würden Sie jungen Menschen in der heutigen Situation noch raten, eine Journalistenlaufbahn anzustreben? Auf welchem Ausbildungsweg – nicht im Hinblick auf Karriere, sondern vor allem auf angemessene Ausbildung?

 

Ja. Die Frage ist aber in der Tat, wie man es macht. Ich mache Abitur und dann gehe ich in den Journalismus, das kann heute keiner mehr sagen. Ich halte eine Fachausbildung – ganz gleich welche – für eines der zwei Beine, auf denen man stehen muss, damit man selber Sicherheit gewinnt und ein Gebiet hat, in dem man sich auskennt. Ich halte wenig davon, Publizistik zu studieren – im Geschäft stehe ich dann ohnehin –, sondern ich brauche Fachkenntnisse über einen bestimmten Bereich. Das ist meine Grundqualifikation, und das Journalistische kommt dann hinzu.

 

Gibt es ein »Juristenmonopol« im politischen Journalismus – ähnlich wie in der Politik?

 

Nein. Ich persönlich empfinde meine juristische Qualifikation als sehr nützlich, gerade in den Bereichen Staatsrecht, Verfassungsrecht, Strafrecht, die fast täglich eine Rolle spielen. Andere Studien – etwa Wirtschaft – sind ebenso nützlich. Anderes erarbeitet man sich im Lauf des Berufslebens. Wenn jemand Sinologie studieren möchte, soll er das machen, das wird ihn vielleicht eher in den Bereich Außenpolitik mit diesem Schwerpunkt führen. Ich halte es für das eigene Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, aber auch für die journalistische Arbeit sehr wichtig, dass ich als Journalist nicht nur das Handwerk verstehe – das Handwerk gut zu schreiben – sondern in einem Fachgebiet, gleich welchem, zu Hause bin.

 

Was für eine Persönlichkeit sollten gute Journalisten mitbringen und aus welchen Motiven sollten junge Menschen für diesen Beruf entscheiden?

 

Das Wichtigste ist: Man sollte sehr, sehr neugierig sein, Lust auf Neues haben, Lust darauf, Dinge herauszufinden und zu bewerten. Man sollte aufgeschlossen sein, nicht menschenscheu sein und Lust haben, mit Menschen umzugehen. Man sollte sich vorstellen können, dass man auch mit sechzig noch neugierig sein wird. Ich glaube, dann ist man richtig im Journalismus aufgehoben. Und Motive? Man sollte sich abschminken, dass man als Journalist großen Einfluss auf das öffentliche Leben hat oder viel Geld verdienen könnte. Das Wort Motiv würde ich streichen, oder besser: als Motiv tatsächlich »Neugier« sagen. Neugier, wie Politik funktioniert – wenn ich politischer Journalist bin –, wie Diskussionsprozesse ablaufen, wie Politik sich in der Öffentlichkeit vermittelt und was ich dazu beitragen kann. Um es in ein Bild zu fassen: Man ist so etwas wie ein Brückenbauer zwischen der Politik und der Öffentlichkeit. Da findet ein Austausch statt, diesen Austauschprozess kann ich mitgestalten. Und insofern habe ich eine demokratische Funktion, wenn es darum geht, Diskussionen auszulösen. Demokratie ist Diskussion, ist das Reden miteinander. Auf Probleme hinzuweisen und Lösungsvorschläge zu machen ist eine wichtige journalistische und demokratische Tätigkeit. Das kann man in vielen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes über die Aufgaben der Presse nachlesen, da klingt das dann sehr pathetisch, aber man kann auch ganz einfach sagen: Wenn die Leute über das reden, was man schreibt, über die Probleme, die man aufgreift, dann hat man es richtig gemacht.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Erschienen als »›Demokratie ist Diskussion, insofern habe ich eine wichtige demokratische Aufgabe‹. Interview mit Heribert Prantl«, in: Medien in der Krise. Hier geht’s raus. Köln 2003, S. 16-20, sowie in FORUM 1/2003, S. 4f.

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