Stille Stimmen. Warum die große Zeit der Journale für Literatur vorbei ist

Von Susanne Krones (Börsenblatt 13/2010) – Sie waren einmal Stimmführer auf dem Literaturmarkt: literarische Zeitschriften. »Akzente« etwa, seit 1954 im Carl Hanser Verlag, verstand sich von Gründung an als Plattform für die Etablierung junger Talente: Hans Magnus Enzensberger debütierte in den »Akzenten«, Günter Grass publizierte dort als junger Autor und wurde in der Folge wesentlich von Herausgeber Walter Höllerer gefördert, Ingeborg Bachmann war von der ersten Ausgabe an »Akzente«-Autorin. Die Zeitschrift wurde zum Seismograph literarischer Strömungen und spielte eine zentrale Rolle für die Durchsetzung ausländischer Literatur in der Bundesrepublik.

Es gibt sie bis heute: literarische Zeitschriften, die sich wie »Am Erker« um bestimmte Genres verdient machen, offene Lesebühnen wie »lauter niemand«, die sich ausdrücklich als Entdeckerzeitschriften verstehen, traditionsreiche Blätter wie »Wespennest«, »Akzente« oder »Sinn und Form«. Doch die einstigen Monopolisten der Präsentation und Diskussion von Literatur spielen heute im Konzert der Literaturvermittler die leiseste Stimme. Sie üben keine erkennbare Funktion mehr aus.

Ihr Monopol haben sie an Feuilletons, Literaturpreise und Institutionen der Literaturförderung verloren, viele ihrer genuinen Zielgruppen sind auf andere Medien ausgewichen. Leserinnen und Leser verfolgen literarische Debatten heute in den Tages- und Wochenzeitungen. Redakteure und Lektoren akquirieren mithilfe von Agenturen. Autorinnen und Autoren wiederum brauchen den Werkstattcharakter literarischer Zeitschriften immer weniger, seit die Angebote des Literarischen Colloquiums Berlin oder der Literaturhäuser einen solchen Rahmen bieten und seit auch online publiziert werden kann.

Parallel zur literarischen Zeitschrift hat sich in den letzten Jahrzehnten auch das Medium Buch verändert: Sein Erscheinungsrhythmus, insbesondere der des Taschenbuchs, das sich für Originalausgaben geöffnet hat, hat den der literarischen Zeitschrift überholt. Das Buch ist heute auch für Experimente zu haben, die früher der Zeitschrift vorbehalten waren. Unbekannte Autoren nehmen die Hürde zur Buchpublikation schneller als in den 50er oder 60er Jahren. Probebühnen in Zeitschriftenform werden von Autoren kaum mehr gebraucht – und von Verlagen und Publikum nicht wahrgenommen.

Dass ein Medium wie die literarische Zeitschrift im Wandel der Medien verschwindet, ist nicht tragisch, sondern Normalität. Tragisch wäre es, wenn mit dem Medium die Formate verschwänden, um die sich literarische Zeitschriften besonders verdient gemacht haben: insbesondere die Lyrik und der Essay. Solange sich dafür – im Web 2.0 oder in klassischer Printform – keine Schutzräume aufgetan haben, sind literarische Zeitschriften noch immer überlebenswichtig für die Literatur.

Damit leise Stimmen hörbar werden, brauchen sie Resonanzräume. Literarische Zeitschriften funktionieren heute überall dort, wo solche Resonanzräume gegeben sind: die »Sprache im technischen Zeitalter« etwa in ihrer Bindung an das Literarische Colloquium Berlin oder die inzwischen wohl wichtigsten und einflussreichsten Zeitschriften für neueste deutschsprachige Literatur, »Edit« und »Bella triste«, in ihrer räumlichen und institutionellen Nähe zu den renommierten universitären Schreibstudiengängen in Leipzig und Hildesheim. Gerade diese Bindung an Institutionen der Aus- und Fortbildung entspricht genuin dem, was Zeitschriften immer ausgemacht hat: Es sind Generationenprojekte.

Erschienen in Börsenblatt 13/2010
, 1. April 2010

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.