Fahren auf Sicht, Lieben auf Zeit: Trübe Aussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs?

Von Susanne Krones (ZEIT academics, 31.1.2012) – Studentinnen und Studenten wissen, dass es mehrheitlich wissenschaftliche Nachwuchskräfte sind, die für Durchführung und Organisation der Lehre verantwortlich und damit für die Qualität der Hochschulbildung insgesamt wesentlich sind. Professorinnen und Professoren wissen, dass Promotionen, Habilitationen und andere Forschungsleistungen von Nachwuchskräften wesentlich zur Produktivität des Forschungssystems beitragen. Ein nachwuchsfreundliches Klima sollte für eine Universität, an der Forschung und Lehre denselben Ort haben, also im Sinne aller und damit selbstverständlich sein. Was klare und strukturierte Aufstiegsperspektiven, frühe selbstständige Lehr- und Forschungstätigkeit und halbwegs attraktive Arbeitsbedingungen auch für den Nachwuchs bedeuten würde.

In der politischen Rhetorik immerhin ist das schon angekommen: So lobt Edelgard Bulmahn, MdB, Bundesministerin a.D. die großen Fortschritte im Bereich der Eigenständigkeit von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, etwa den Paradigmenwechsel durch das Emmy-Noether-Programm, eine Veränderung der Struktur der Förderung, die stärker auf frühe Eigenständigkeit zielt sowie die Einführung der Juniorprofessur als eigenständiger Karriereweg und Möglichkeit der selbstständigen Lehre und Forschung.

Die Realität sieht in Deutschland immer noch anders aus: Der wissenschaftliche Nachwuchs fährt permanent auf Sicht, hangelt sich von Befristung zu Befristung. Tenure-Track-Optionen, die in Dauerberufungen nach nachvollziehbaren Kriterien münden, sind die Ausnahme. Die Studien des HIS bestätigen regelmäßig, dass der Nachwuchs seine Entwicklungsmöglichkeiten längst – und zunehmend! – als unsicher empfindet. Der Anteil an befristeten Beschäftigungsverhältnissen an bundesdeutschen Hochschulen ist enorm. Das Risiko tragen allein die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Stipendiatinnen und Stipendiaten. Denn Fahren auf Sicht bedeutet für jeden einzelnen auch: Lieben auf Zeit.

Anders als in der freien Wirtschaft, wo die viel beschworene Generation Praktikum von Mitte Zwanzig bis Anfang Dreißig in der Falle von Praktikums- und Volontariatsverträgen steckt, zieht sich die Ungewissheit an der Hochschule bis durch die nächste Dekade. Gänzlich fehlende Planungssicherheit erschwert nicht nur Familiengründung, sondern auch eine Etablierung in einem zweiten Beruf, einen Plan B, den der Nachwuchs im Glückspiel Wissenschaft dringend haben sollte.

Besonders ärgerlich ist die Situation, weil sie nicht nur auf Kosten einzelner geht, sondern längst auch auf Kosten des Systems: Die aktuellen Skandale um Promotionen, die den Kriterien nicht entsprechen und nicht ausreichend geprüft wurden, zeigen die hohe Bedeutung klarer und nachvollziehbarer Standards für die Promotionsphase, wie sie etwa Graduiertenschulen leisten können. Fehlende Geschlechtergerechtigkeit könnte von einem funktionierenden System ebenfalls besser aufgefangen werden. Dass unbefristete Beschäftigung inzwischen die Regel ist, liegt am niedrigen Grundfinanzierungsanteil der bundesdeutschen Hochschulen, der für die einzelnen Einrichtungen einen Unsicherheitsfaktor bedeutet. Drittmittel sind in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Instrument, sie funktionieren aber nur in Kombination mit einer soliden Grundfinanzierung der Hochschulen und einem Tarifvertrag für die Wissenschaft, der den Tarifpartnern Vertrags- und Verhandlungsoptionen eröffnet.

Dass es bereits jetzt anders geht, zeigen die außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die einen höheren Anteil an unbefristet beschäftigtem Mittelbau. Sie wissen, dass nur so die Qualität ihrer Forschung gewährleistet ist. Weitblick und Perspektive statt Fahren auf Sicht und Lieben auf Zeit.

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