Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Podiumsdiskussion beim Karrieretag Buch + Medien der Buchmesse Leipzig 2012

Von Susanne Krones (BücherFrauen Women in Publishing 4/2012) – Wie eine Arbeitswelt aussehen könnte, die den vielfältigen Anforderungen einer beschleunigten Ökonomie ebenso gerecht wird wie den Bedürfnissen der Menschen, die in ihr arbeiten, ist nicht nur Jahresthema 2012 des Branchennetzwerks BücherFrauen, sondern war am 16. März auch Leitfrage beim Karrieretag Buch und Medien auf der Leipziger Buchmesse 2012.

Prof. Birgit Dankert, Beirätin der BücherFrauen, sprach bei der Podiumsdiskussion »Arbeitsmodelle der Zukunft« mit Sybille Haas, Wirtschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung, Sabine Dörrich, Personalberaterin für die Buch- und Medienbranche, und Mareike Bardenhagen, Studentin der HWTK Leipzig über die Buchbranche der Zukunft.

Wirtschaftsredakteurin Sybille Haas, profunde Kennerin der sozialpolitischen Zusammenhänge und gesellschaftspolitischen Hintergründe, identifiziert zwei große Herausforderungen: Die größte sei der demographische Wandel der zu einem Fachkräftemangel führen wird, den man nur mit einer Mobilisierung der »stillen Reserve«, also der Frauen, wird schultern können; ein noch unterschätztes, zweites großes Thema sei die Jugendarbeitslosigkeit in Europa.

»Die Anforderungen an ein Spezialfachwissen sind deutlich gewachsen.« Sabine Dörrich, Personalberaterin

Noch deutet sich in der Buchbranche kein Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften an, in allen Bereichen, selbst bei den gefragteren technischen Studienrichtungen mit Schwerpunkt im Bereich Digitalisierung, müssen Nachwuchskräfte findig sein, um einen reibungslosen Berufseinstieg zu schaffen. Maraike Bardenhagen, die mit der Leipziger Studienrichtung Buch- und Medienproduktion ein ingenieurwissenschaftliches Fach mit hohem Frauenanteil studiert, beschreibt die Breite des Faches, die von technischen Disziplinen bis zum Marketing im Social Web reicht: »Das umfasst viel – aber genau das ist unsere Branche.« Dennoch sieht sie keine Alternative zu einer frühen Spezialisierung, um Aussichten auf einen erfolgreichen Berufseinstig zu haben.

Eine Überlegung, die Peronalberaterin Sabine Dörrich mit der Erfahrung ihrer zwölf Berufjahre nur bestätigen kann: »Die Anforderungen an eine Spezialfachwissen sind in diesen zwölf Jahren deutlich gewachsen: Es wird selbstverständlich erwartet, dass Bewerberinnen und Bewerber neben akademisch breiter Ausbildung solides Handwerkszeug mitbringen – das kann ein Spezialwissen über bestimmte Märkte und Themen oder  auch ein herstellerisches Spezialwissen sein.« Jungen Herstellerinnen und Hersteller, so Dörrich, gelänge es heute immer öfter, das Volontariat zu überspringen, weil sie profundes Spezialwissen über Digitalisierung mitbrächten, auf das die Verlage dringend angewiesen seien. Bardenhagen sieht darüber hinaus Engagement, Teamarbeit, Idealismus und vernetztes Arbeiten und Denken als entscheidende Qualifikationen für Erfolg in der Branche.

»Das sind weder Soft- noch Hardskills, sondern schlicht die Eigenschaften, die in der Zukunft gefordert sind«, so SZ-Redakteurin Haas: »Es wird keine starren Hierarchien mehr geben, Chef wird die- oder derjenige sein, die oder der aktuell das Projekt leitet.« Immer wichtiger würden Kommunikations- und Organisationsfähigkeit.

»Männer fördern Männer. Ein bisschen Druck muss sein, sonst ändert sich nichts.« Sybille Haas, Süddeutsche Zeitung

Traditionell weiblich konnotierte Eigenschaften also sind es, die in Zeiten schneller Innovationen und schwindender personeller Ressourcen gefragt sind. Weht der Zeitgeist damit die Frauen von hinten an oder weht er ihnen immer noch entgegen?

Sabine Dörrich relativiert jeden Optimismus: In der Verlagsbranche sind die Entwicklungen längst nicht angekommen. Frauen müssten sich noch wie vor an stark männlich geprägte Hierarchien anpassen, wenn sie aufsteigen wollen. »Man kann nur hoffen, dass sich die Strukturen verändern – für die Frauen in der Branche und für alle jungen Mitarbeiter, für die Formen vernetzten Arbeitens angemessener sind.«

Der hohe Frauenanteil der Branche täuscht über die Wirklichkeit hinweg. »Viele qualifizierte, kluge Frauen stoßen auch heute noch an die unsichtbare gläserne Decke. Das ‚Kind’ wird häufig als Grund vorgeschoben, ist aber ein Scheinargument«, so SZ-Redakteurin Haas. Die Aktion »Pro Quote« mit der die deutschen Journalistinnen gerade vehement eine Frauenquote in den Chefredaktionen fordern, kann sie nur unterstützen. Noch immer würden junge Frauen in Positionen eingestellt, wo sie bei gleichen Voraussetzungen schlechter dotiert werden als ihre männlichen Kollegen und weniger Aufstiegschancen haben. »Männer fördern Männer.  Ein bisschen Druck muss sein, sonst ändert sich nichts.« Erst wenn genügend weibliche Führungskräfte als Vorbild und Förderinnen für jungen Frauen fungieren können, wird sich das Bild auf lange sicht auch ohne Regulative gleichberechtigter gestalten. Dass Frauen mit 20 tendenziell eher nicht von der Notwendigkeit einer Quote überzeugt sind, Frauen mit Mitte 30 ihre Meinung dazu geändert haben, sei klassisch – das Meinungsbild im Saal bestätigt die These.  Man muss erst an die unsichtbare gläserne Decke anstoßen, um sie zu bemerken.

»Es liegt auch an den Frauen, die sich nicht trauen.« Maraike Bardenhagen, HTWK Leipzig

64% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verlagsbrache sind weiblich, ganze 80% der Lektorinnen und Lektoren – und dennoch ist der Anteil weiblicher Führungskräfte in der Branche minimal. Maraike Bardenhagen sieht für ihre Generation das Problem auch bei den Frauen selbst: »Es liegt auch an den Frauen, die sich nicht trauen. Viele trauen sich nicht mal im Bewerbungsgespräch ein bestimmtes Gehalt zu fordern.«

Wie der demographische Wandel in der Buchbranche ankommt, lässt sich nicht leicht vorhersagen. »Wenn es so käme, dass die Branche den Frauen hinterher laufen muss, dann werden sich die Bedingungen dort verändern – natürlich«, so Sabine Dörrich. Frauen stoßen sich an starren Sitzungskulturen, haben einen Wunsch nach Teamarbeit, flexibler Arbeitszeitgestaltung, wollen Beruf und Familie vereinbaren. Während Frauen in früheren Generationen häufig aufgrund der Strukturen kinderlos geblieben sind, fordern junge Frauen heute eine Vereinbarkeit selbstverständlich ein: »Damit begeben sich aber auch in eine Falle, denn die Buchbranche ist noch weit davon entfernt, jungen Frauen attraktive Teilzeitstellen anzubieten.«

Feminisierung und Prekarisierung gehen in der Buchbranche häufig miteinander einher, vor allem dann, wenn gut qualifizierte Frauen sich freiwillig aus Machtkämpfen ziehen, um sich etwa in flexiblere Formen der Selbstständigkeit zu begeben, so Sabine Dörich. Außerdem erlebt die Beraterin in einer Vielzahl von Bewerbungsgesprächen, dass Männer viel mehr fordern, während Frauen allzu leicht bereit sind, für einen attraktiven Job auf Gehalt zu verzichten.

»Dass die Jugend Europas auf die Straße geht, ist nicht naiv, sondern richtig.« Sybille Haas, Süddeutsche Zeitung

»Das Problem der Prekarisierung junger Arbeitnehmer«, so Sybille Haas, »trifft genauso die jungen Männer: Pauschalisten-Verträge, Volontariate, Formen der Scheinselbstständigkeit – all das bedeutet große Unsicherheit für die persönliche Planung, auch für Familienplanung.« Der Staat, so Haas, habe die Rahmenbedingungen geschaffen, dass Leiharbeit und Zeitarbeit in viel mehr Branchen vorgedrungen seien. »Dass die Jugend Europas auf die Straße geht, ist nicht naiv, sondern richtig.«

Dass Hochschulabsolventinnen und –absolventen auch heute noch bereit sind, sich nach dem Studium über teilweise unbezahlte Praktika und schlecht bezahlte Volontariate auf einen Berufseinstieg in der Branche vorzubereiten, hat für Personalberaterin Sabine Dörrich mit ihrer scheinbar ungebrochenen Attraktivität zu tun: »Es ist die hohe Ausstrahlung unserer Branche, die diese Ausbeutung möglich macht.«

»Frauen sollten sich bei Forderungen und Ansprüchen nicht zurückhalten. Nie.« Sybille Haas, Süddeutsche Zeitung

»Mehr Geld, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Vertrauen der Arbeitgeber in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« würde auf Maraike Bardenhagens Transparent stehen, wenn sie morgen zu einer Demo für Arbeitsmodelle der Zukunft ginge. Wenn sie demnächst ihr Studium der Buch- und Medienproduktion abschließt, wird sie keinesfalls ein halbes Jahr unbezahltes Praktikum machen, um dabei eine ganze Arbeitskraft ersetzen – schon ihrer kleinen Tochter zuliebe. Ihr Traum für die Zukunft? Eine Vollzeitstelle mit flexiblen Arbeitszeiten und Home-Office-Möglichkeiten, die zusammen mit einer guten Kinderbetreuung die Verbindung von Familie und Karriere langfristig ermöglicht.

Einen solchen Wandel in den Unternehmenskulturen, der die Qualitäten der Frauen als Stärken anerkennt und wegkommt von dem unterstellten Defizit weiblicher Arbeitnehmer, das jeweils noch an einer Inkompatibilität mit den herrschenden Strukturen liege, wünscht sich auch Sabine Dörrich – für die gesamte Branche. Sybille Haas empfiehlt: »Junge Leute sollten tun, was sie wollen, und sich nicht von Aussichten und Prognosen beirren lassen. Frauen sollten sich bei Forderungen und Ansprüchen nicht zurückhalten. Nie.«

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