Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Herta Müller bei Hörbuch Hamburg

Von Susanne Krones (EMOTION 4/2012, online) – Sie wartet auf ihn. So lange schon, dass ein Wiedersehen nichts wäre als ein schreckliches Glück. Ein brillanter Monolog der Nobelpreisträgerin in einer beeindruckenden Hörbuch-Fassung, interpretiert von Angela Winkler.

Eine Frau wartet. Wartet jahrelang vergeblich auf einen Mann, der nicht zurückzukehren scheint aus dem Lager oder aus dem Krieg. Wann hört ein solches Warten auf? Darf der Gedanke überhaupt gedacht werden? Der einzige Satz, der ihr Halt gibt, ist selbst fragil: »Man kann auch leben, ohne sich zu melden.« Man kann. Aber wahrscheinlich ist es nicht, dass er zurückkommt. Und selbst wenn – was wäre dann?

Alles ist ein Gegenteil

Längst hat das Warten sie verändert. Wie der Krieg und seine Erlebnisse in Gefangenschaft ihn verändert hat, mag sie sich gar nicht vorstellen: »All die Jahre zwischen uns gelten auch für ihn.« Ein Wiedersehen wäre nichts als ein schreckliches Glück, zu groß ist die Angst, zu übermächtig die Gewissheit, dass zwei Fremde einander gegenüberstehen würden. Wie lautet die gute Nachricht, auf die sie wartet? Dass er nach Hause kommt? Oder dass er nachweislich nie mehr nach Hause kommt? Längst haben sich die gute und die schlechte Nachricht verkehrt: »Alles ist ein Gegenteil.«

Seinen Tod freilich darf sie sich nicht wünschen, das Tabu umstellt sie von allen Seiten und engt sie bis zur Lebensunfähigkeit ein. Mit der Zeit seiner Abwesenheit wächst ihr irrationales Schuldgefühl: »Ich habe ihm die Jahre gegeben, aber niemals einen Ort.« Der Monolog wird zu einer Erzählung ihres Lebens gegen sich selbst, in dem es doch immer die Sprache ist, die Halt gibt.

Entmündigung des Menschen durch politische Ideologie

Neben dieser persönlichen Geschichte eines Paares, das in der Anonymität von sie und er nur schemenhaft erkennbar ist, erzählt Nobelpreisträgerin Herta Müllers in diesem Monolog, der erstmals 1992 in der Zeitschrift Kursbuch erschienen ist, auch eine politische Geschichte von der fatalen Entmündigung der Menschen durch die politische Ideologie. »Wenn die Fahnen wehen, rutscht der Verstand in die Trompete«, konstatiert Müller, und findet bewegende Bilder für die heute unvorstellbare Zeit des Hungers und der Entbehrungen, in der »eine warme Kartoffel soviel ist wie ein Handschuh für zwei Hände«. Wenn der Hunger weg ist, kommt das Weinen, »es rieb mir die Wangen auf, als wären in den Tränen Steine«.

Angela Winkler erweist sich als kongeniale Interpretin von Herta Müllers dichtem, bewegenden Monolog, in dem die Sprache zum einzigen Ort, an dem sich Unerträgliches ertragen lässt. Bereits 1975 für ihre Hauptrolle in Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet, erreichte Angela Winkler durch die Rolle der Mutter von Oskar Matzerath in Die Blechtrommel internationales Renommee. Seit 1986 widmete sie sich verstärkt dem Theater, vor allem mit Peter Zadek.

Herta Müller: Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Gelesen von Angela Winkler. Hörbuch Hamburg 2011

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