Gerecht ist besser – für alle!
Von Susanne Krones (buchreport, 30. April 2012) – Viel wird derzeit über die historisch einmaligen Herausforderungen diskutiert, vor denen unsere Branche in Zeiten der Digitalisierung steht – zu Recht. Wenig darüber, ob ihre Unternehmenskulturen für das 21. Jahrhundert gerüstet sind – zu Unrecht. Ein Plädoyer für mehr Leistungsorientierung, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit und zukunftsfähige Arbeitsmodelle in der Buchbranche.
Die Studie MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute, durchgeführt von Prof. Dr. Romy Fröhlich, Ludwig-Maximilians-Univeristät München, hat erstmals berufsübergreifend die Arbeitssituation von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Selbstständigen in allen zentralen Berufsfeldern von Buchhandel und Verlagswesen untersucht. Die Ergebnisse erschrecken, weil sie schon auf den ersten Blick massive Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern und den Generationen sichtbar machen:
- Während sich ein höherer formaler Abschluss bei Männern positiv auf Gehalt/Einkommen auswirkt, ist das bei Frauen nicht der Fall. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen wachsen mit der Qualifikation, am größten sind sie zwischen promovierten Frauen und Männern.
- Mütter verdienen weniger als kinderlose Frauen, Väter mehr als kinderlose Männer.
- Die Differenz zwischen den Gehältern wächst mit steigender Hierarchiestufe, ist also zwischen Abteilungsleiterin und Abteilungsleiter größer als zwischen Mitarbeiterin und Mitarbeiter.
- Bei den Männern steigt das Durchschnittsgehalt/-einkommen auch über einem Lebensalter von 40 kontinuierlich deutlich an, bei Frauen stagniert es ab 40.
- Noch ungerechter verteilt als die Gehälter sind die Chancen: Ganze 80 Prozent der Lektoratsstellen sind mit Frauen besetzt – und dennoch ist der Anteil der Verlagsleiterinnen in der Branche minimal. Obwohl in allen Sparten deutlich mehr Frauen zur Verfügung stehen, ist der Anteil von Männern, die eine hohe oder sehr hohe Position bekleiden, unvergleichlich höher, als es dem Anteil der Männer im Beruffeld insgesamt entsprechen würde. Faktisch bedeutet dieses verzerrte Zahlenverhältnis ja nichts anderes als: Während die einen quasi automatisch „nach oben fallen“, brauchen die anderen neben fachlicher Exzellenz, überdurchschnittlicher Berufserfahrung, Durchhaltevermögen und Führungsqualitäten vor allem: unverschämtes Glück an der Lostrommel.
- Leistungskriterien spielen dabei keine Rolle, auch Mehrfachqualifikationen erhöhen die Chancen von Frauen laut Studie nachweislich nicht (anders als die von Männern mit Mehrfachqualifikationen).
- Zur fehlenden Geschlechtergerechtigkeit kommt mit dem eng mit der Feminisierung der Branche verbundenen Problem der Prekarisierung die fehlende Generationengerechtigkeit: Prekarisierung betrifft junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen.
- »Pauschalisten-Verträge, mehrfache Volontariate, Formen der Scheinselbstständigkeit – all das bedeutet große Unsicherheit für die persönliche Planung, auch für Familienplanung«, so SZ-Wirtschaftsexperin Sybille Haas beim Karrieretag der Leipziger Buchmesse. All das trifft junge Frauen ebenso wie junge Männer, die Beruf und Familie vereinbaren wollen.
- Und auch für die jungen Arbeitnehmer gilt: Höher- und Mehrfachqualifizierungen gleichen die schwierigen Startchancen der Berufseinsteiger heute in aller Regel nicht aus.
Berufstätigkeit und Aufstieg erfolgen für Frauen in der Branche nicht zu den gleichen Bedingungen wie für Männer, für junge Beschäftigte zu weitaus härteren Bedingungen als für die etablierten Kollegen.
Unternehmenskulturen von gestern können vor den Herausforderungen der Zukunft nur versagen
Dass die beschriebenen Verhältnisse nicht nur ein Problem der Frauen und des Branchennachwuchses sind, sondern die Unternehmen der Branche nachhaltig beunruhigen müssen, zeigen drei weiterführende Überlegungen:
1. Wie alle Branchen wird auch unsere einen aus dem demographischen Wandel resultierenden Fachkräftemangel bewältigen müssen, den man nur mit einer Mobilisierung der sog. »stillen Reserve«, also der Frauen, wird schultern können. Die Studie aber zeigt: Der »woman drain« in der Buchbranche ist schon jetzt dramatisch. 80% der Auszubildenden sind weiblich, am Ende der Laufbahn wird wie schon jetzt nur ein Bruchteil von ihnen der Branche erhalten bleiben. Junge Frauen werden mit Aufwand und Kosten ausgebildet, um sie teilweise oder komplett für den Arbeitsmarkt zu verlieren, weil sie in andere Branchen abwandern, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser gewährleisten, flexiblere Arbeitszeiten und weniger starre Sitzungskulturen bieten, die Führungsaufgaben geschlechtergerechter verteilen und insgesamt besser bezahlen.
2. Nicht nur quantitativ, auch qualitativ werden Verlage, Buchhandel und branchennahe Dienstleister der Zukunft auf weibliche Beschäftigte angewiesen sein, wenn in der Buchbranche ankommt, was in anderen Branchen längst selbstverständlich ist: Es sind traditionell weiblich konnotierte Eigenschaften, die in Zeiten schneller Innovationen und schwindender personeller Ressourcen gefragt sind, und – so Berater Leander Wattig mit Bezug auf John Hagle – »wirtschaftliche Erfolgsfaktoren in unserer Netzwerk-Welt« werden. Engagement, Teamarbeit, Idealismus, vernetztes Arbeiten und Denken, Kommunikations- und Organisationsfähigkeit sind entscheidende Qualifikationen für Erfolg in der Branche. »Noch müssen sich Frauen in der Branche nach wie vor an stark männlich geprägte Hierarchien anpassen, wenn sie aufsteigen wollen«, so Personalberaterin Sabine Dörrich: »Man kann nur hoffen, dass sich die Strukturen verändern – für die Frauen in der Branche und für alle jungen Mitarbeiter, für die Formen vernetzten Arbeitens angemessener sind.« SZ-Wirtschaftsexpertin Haas sieht in den genannten Eigenschaften ebenfalls das Potential der Zukunft: »Das sind weder Soft- noch Hardskills, sondern schlicht die Eigenschaften, die in der Zukunft gefordert sind. Es wird keine starren Hierarchien mehr geben, Chef wird die- oder derjenige sein, die oder der aktuell das Projekt leitet.«
3. Schon jetzt verbringen Selbstständige in der Buchbranche ein Drittel ihrer Arbeitszeit beruf- und branchenfremd. Diese Entgrenzungserscheinungen – wie sie auch der Journalismus aus dem verheerenden Spagat zwischen Journalismus und PR kennt – gehen in der Regel mit einer Prekarisierung in der Kernbranche einher und führen zu weiterer Entprofessionalisierung, wenn es in der Kernbranche keine angemessenen Honorare für Professionals mehr gibt. 52% aller Befragten planen sich beruflich zu verändern, 11% haben sich bereits entschieden, die Branche innerhalb der nächsten fünf Jahre zu verlassen. Eine große Mehrheit hält ihre Karriere- und Aufstiegsschancen für »mittelmäßig« (34%), »schlecht« (24%) oder »sehr schlecht« (12%).
Der hohe Frauenanteil der Branche täuscht über die Wirklichkeit hinweg
Unter den Wechselwilligen finden sich überdurchschnittlich viele Frauen, insbesondere die herausragend qualifizierten Kolleginnen, auf die die Branche dringend angewiesen ist. »Viele qualifizierte, kluge Frauen stoßen auch heute noch an die unsichtbare gläserne Decke. Das Kind wird häufig als Grund vorgeschoben, ist aber ein Scheinargument«, so Haas. Für die Buchbranche gilt das, wie die Studie zeigt, in ganz besonderer Weise.
Insbesondere eine Zahl muss alarmieren: 69 Prozent der befragten weiblichen Beschäftigten der Branche sind kinderlos, obwohl die übergroße Mehrheit in Partnerschaften lebt; unter den männlichen Beschäftigen haben doppelt so viele Kinder. Zum Vergleich: Die Quote kinderloser Frauen unter den westdeutschen Akademikerinnen lag im Erhebungszeitraum der MehrWert-Studie nach statistischem Bundesamt bei 28 Prozent, in der Buchbranche liegt sie bei 69 Prozent!
Die skandalöse Zahl zeigt zweierlei: Erstens, dass in der Buchbranche im Vergleich zu anderen Branchen mit einer hohen Zahl von Akademikerinnen ein riesiger Nachholbedarf besteht, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft. Und zweites, dass die oben genannten ungleichen Bedingungen für Männer und Frauen in der Branche sich durch das gerne vorgeschobene Erklärungsmuster für beruflichen Aufstieg – die Doppelbelastung in Beruf und Familie – nicht erklären lassen, da das die übergroße Mehrheit der Frauen in der Branche gar nicht betrifft. Auch für kinderlose Frauen gestaltet sich berufliche Karriere nicht zu den gleichen Bedingungen wie für ihre männlichen (kinderlosen und kinderhabenden!) Kollegen.
Zukunftsfähige Arbeitsmodelle für die Buchbranche
Unternehmen, die zukunftsfähige Arbeitsmodelle für die Buchbranche etablieren wollen, die endlich eine leistungsorientierte Personalauswahl aus dem gesamten Pool des Branchennachwuchses erlauben, sollten sich also dringend von zwei nachweislich überholten Vorurteilen verabschieden: dem eben geschilderten, dass es der Doppelbelastung geschuldet wäre, dass Frauen den Weg an die Spitze nicht antreten, und einem zweiten, eng damit verbundenen – Frauen hätten keine Lust auf Karriere. Viele Frauen haben Lust auf Karriere, und der Anteil derer, die Lust haben, wäre nicht niedriger als der unter ihren männlichen Kollegen, wenn sie ebenso rechtzeitig »aufgebaut« würden – und zwar nicht erst mit 35, sondern wie ihre Kollegen auch: deutlich früher. Auch männliche Führungsfähigkeiten fallen nicht vom Himmel, sondern sind Ergebnis einer geschlechtsspezifischen Sozialisation.
Unternehmen, die zukunftsfähige Arbeitsmodelle für die Buchbranche etablieren wollen, die endlich eine leistungsorientierte Personalauswahl aus dem gesamten Pool des Branchennachwuchses erlauben, sollten weiter alles tun, um die fachlich exzellenten Frauen und Nachwuchskräfte, die sie gewinnen, auch zu halten. Das könnte und sollte im Detail bedeuten:
- Etablierung einer Nachwuchsförderung, die beiden Geschlechtern gerecht wird und beide Geschlechter gleichermaßen zur Übernahme von Führungsverantwortung animiert (etwa im Rahmen von Mentoring- und Coachingprogrammen, wie sie in anderen Branchen längst Standard sind)
- Flexiblere Arbeitszeitmodelle und familienbewusste Arbeitszeiten (Gleitzeit, die Möglichkeit zu Sabbaticals, Vertrauensarbeitszeiten, …)
- Flexible Arbeitsorte (Homeoffice-Tage)
- Einbindung von Vätern und Müttern während der Elternzeit (Fortbildungen, Weiterleitung wichtiger Informationen, …)
- Kein kategorischer Ausschluss von Führung und Teilzeit
- Kinderbetreuung (Betriebs-Kitas, bei kleineren Häusern ggf. Beteiligung an anderen betrieblichen Betreuungseinrichtungen)
- Rücksicht auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Angehörige pflegen (Arbeitszeitkonten, flexible, kurzfristige Teilzeitlösungen, …)
- Langfristig ein Wandel in den Unternehmenskulturen, der die Qualitäten der Frauen und der jungen Mitarbeiter, denen vernetztes Arbeiten mehr liegt als starre Hierarchien, als Stärken anerkennt – wie ihn sich Personalberaterin Sabine Dörrich für den Erfolg der gesamten Branche wünscht.
Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen …
Nichts wird sich ändern, wenn Frauen nicht innerhalb ihrer Partnerschaften eine gleichberechtigte Beziehung einfordern, die eine gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und damit von Lebensrisiken wie Altersarmut einschließt und dem Ideal einer partnerschaftlichen Familie entspricht. Nichts wird sich ändern, wenn Väter nicht ebenso engagiert ihren Anspruch auf hälftige Elternzeitlösungen, attraktive Teilzeitstellen, die mit beruflicher Weiterentwicklung kompatibel sind, und flexible Arbeitszeiten bei ihren Arbeitgebern einfordern.
»Frauen sollten sich bei Forderungen und Ansprüchen nicht zurückhalten. Nie.«, so SZ-Wirschaftsredakteurin Haas. Denn: Unterschiedliche Studien belegen, dass sie ohnehin dazu neigen, ihre Möglichkeiten zu unterschätzen, während Männer dazu neigen, sie zu überschätzen. Ebenso sollten sich junge Mitarbeiter nicht mit der Dauerschleife unbezahlter Praktika abfinden; sie wird für die Verlage so lange funktionieren, wie sich hochqualifizierte Berufseinsteiger finden, die glauben, das Spiel mitspielen zu müssen. Initiativen wie »Buchkarriere«, die sich zu Ziel setzen, Gehälter, Arbeits- und Rahmenbedingungen für Praktika und Volontariate transparent und damit Unternehmen für den Branchennachwuchs vergleichbar zu machen, sind wichtig.
Frauen müssen sich ihrer Vorbildfunktion als role model für jüngere Frauen bewusst sein und sie ebenso fördern, wie ihre Kollegen ganz selbstverständlich männliche Nachwuchskräfte fördern. Frauen sollten Beruf und Privates klar trennen, im Beruf professionell agieren und sich gar nicht erst in die Mädchenfalle begeben.
Junge Frauen müssen sich der Risiken bewusst sein, wenn sie ihr Studienfach und Berufsziel primär nach idealisiert-identifikatorischen Kriterien auswählen (wofür es gute Gründe gibt) und sich (wenn sie es aus guten Gründen tun) umso aufmerksamer darum bemühen, sich strategisch zu vernetzen, gezielt weiterzubilden und Aspekte wie Karrierechancen und Einkommen zu nicht zu vernachlässigen.
Und vor allem: Frauen sollten sich nicht – niemals! – gegeneinander ausspielen lassen. Es geht um Wahlfreiheit für beide Geschlechter, niemals darum, Lebensmodelle gegeneinander auszuspielen. Das gleiche gilt für Nachwuchskräfte: Gerade weil das natürliche Konkurrenzverhältnis um die knappen Einstiegsstellen die Position der Unternehmen stärkt, sind Initiativen, die die Position des Branchennachwuchses insgesamt stärken, wichtiger als je zuvor.
Fröhlich, Romy: Büchermenschen in Deutschland. Eine Studie über die berufliche Situation und die Bedingungen beruflicher Karrieren von Männern und Frauen im deutschen Buchhandel und Verlagswesen. Lit Verlag: Berlin 2011
Fröhlich, Romy u.a.: MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute, hrsg. v. d. BücherFrauen e.V. Ulrike Helmer Verlag: Sulzbach/Taunus 2010