Von Lust und Last literarischen Schreibens (15.11.2008)
»Über die Baulücke zieht blauer Himmel, die Schönheit der Brandmauern tritt schonungslos hervor. Eine Jakobinerin mit Einkaufstasche und Hund erobert die Ladenstraße, der Marktfahrer singt sein Auberginenlied. An der Ecke bleibt ein Dreijähriger stehen, der notiert alles, was er hört und sieht, in sein gelbes Heft, die Mutter wartet. Sie weiß, die Wirklichkeit lässt sich nicht begreifen, außer vielleicht mit einem Bleistift in der Hand.« Szenen wie sie Klaus Merz unter dem Titel Flauberts Enkel formuliert, spielerische Sätze, die Raum lassen für Assoziationen charakterisieren die Anthologie, die Klaus Modick und Helmut Mörchen über eine Werkstattklausur der Kurt-Schumacher-Akademie in Münstereifel unter dem Titel »von Lust und Last literarischen Schreibens« veröffentlicht haben.
Anfänge, Schreibgründe, Marktgänge und Schlußpunkte heißen ihre Kapitel, die einen Blick durch den Türspalt erlauben in die Werkstatt deutscher Schriftsteller. Autoren wie Jürg Amann, F.C. Delius, Ulrike Draesner, Judith Kuckart, Wilhalm Genazino und Brigitte Oleschinski beschreiben die Entstehungsbedingungen von Literatur und die Voraussetzungen, unter denen Autoren heute arbeiten.Der Leser erfährt dabei Intimes über einen Beruf, bei dem man gewöhnlich nicht so einfach zusehen kann: Schreiben sei »wie auf eine kalte Glasscheibe hauchen (nicht kontrolliert, ohne Zensur): alles ist in diesem Kondensat enthalten« verrät Roland Koch in Einatmen, ausatmen. Je routinierter einer schreibt, desto schneller läuft er weg, so Koch: »Die Geläufigkeit, mit der jemand schreibt: ein Weglaufen. Möglichst weit weg von sich.« Auf eine der geläufigsten Fragen an Autoren – Wie lernt man schreiben? –, hat der Autor gleich mehrere Antworten parat: »Sehen lernen, sich verändern, das reicht eigentlich schon.«, »Leise auf jemanden zugehen und zusehen: eine Figur!«, »Die Intelligenz des Lesers überschätzen.«, »Etwas aufschnappen, ein Gefühl, es festhalten, bis ein anderer es findet.«, »Zum Schreiben muss man eigentlich sehr alt sein. Nein, man muss sehr jung sein.« und: »Horchen auf die Seele der Sätze.« Ein Richtig und Falsch beim Schreiben, das gibt es nicht – »Was Stil ist, bestimmt der, der ihn schreibt.« – und wer es sich leicht machen will beim Schreiben, der macht es sich schwerer, als es ist: »Sich schwer tun, ohne Schwierigkeiten« ist das Geheimnis des mühsamsten Berufs. Manchmal aber geht es auch ganz von selbst und ein Wort gibt das andere: »Man wirft ein Stöckchen weg, schon brechen von allen Seiten Hunde aus dem Gebüsch.« Und immer wieder die Selbstvergewisserung: »Ist meine Stimme zu hören? Bin ich zu laut?« Und die Gewissheit: »Was ist autobiographisch? Alles.« Das gelungene Buch? Für Roland Koch ist es ebenso leicht oder schwer zu erreichen wie die gelungene Liebe. Nur gibt es niemals Befriedigung im Schreiben, so Inka Bach ernüchtert in ihrem Text Arbeit, und das freut uns als Leser, denn würde das Schreiben zum Bügeln, es gäbe keine guten Bücher mehr: »Wie zufrieden wäre ich, wenn ich mein ganzes Leben mit so etwas Sinnvollem wie Bügeln füllen könnte! Das Schreiben befriedigt nie; es ist mir nun eigentlich das höchste Glücksgefühl, aber Befriedigung, nein, die nicht. Ich werde euch noch etwas verraten: Wenn das Schreiben zum Bügeln wird, dann wird es miserabel. Ein Hauch, ein Spiel sollte es bleiben! Können auch die anderen stolz sein auf ihre Plackerei.«
Klaus Modick, Helmut Mörchen (Hg.): von Lust und Last literarischen Schreibens. Ein Blick in die Werkstatt deutscher Schriftsteller. Frankfurt: Eichborn 2001, antiquarisch über das ZVAB