Eine, die (2007, 2010)

Photographien von Heike Bogenberger, Texte von Susanne Krones

EINE, DIE als eine Konstruktion, die wie eine Lupe wirkt, die sich auf Figuren legt. Eine Lupe, die das Webmuster des Individuums an genau dieser Stelle mit erstaunlicher Klarheit offenbart, um den Preis, durch die Fokussierung des Details das Ganze der Figur, ihren Zusammenhang im realen Alltag oder in der Literatur aus den Augen zu verlieren. Von wem ist die Rede?

EINE, DIE macht die zahlreichen Facetten der immer gleichen Person ebenso sichtbar wie die Verschiedenheit von Personen. Texte und Photographien, gedruckt in diesem Buch und gesprochen und animiert auf der beiliegenden DVD, lassen sich nicht festlegen aufeinander, sondern tauschen ihre Plätze. Ihre alternierenden Kombinationen sind ebenso situationsabhängig wie jede Wahrnehmung es ist. Transparenzen in der Buchgestaltung lassen Ein- und Ausblendungen zu und schaffen ein Gespür dafür, wie sehr jede vergangene Begegnung, jede Wahrnehmung, Einschätzung und Zuschreibung in jeder folgenden Begegnung weiterwirkt: vielleicht noch gut lesbar, vielleicht verblassend, vielleicht von zahlreichen neuen Eindrücken überschrieben, aber doch immer da als der Grund, auf den sich Schichten neuer Wahrnehmung legen.

EINE, DIE gibt in diesem Buch einem aphoristisch-assoziativen Gespinst aus Spuren von Eindrücken, Leseerfahrungen, von Begegnungen mit realen und fiktiven Frauen eine Form. Figuren, die Erinnerungen hinterlassen haben, längst nicht immer an Namen, Gesichter, Geschichten, aber immer an EINE, DIE. So begegnen uns die in diesem Buch in Text und Fotografie dokumentierten Frauen in einer Anonymität, die zugleich die größte Offenheit zulässt. Betrachter erleben EINE, DIE erst im Lesen entsteht und dabei vorführt, was Identität auch ist: eine fragile Konstruktion, immer auch abhängig vom Gegenüber: Wem gegenüber ist man wie? Betrachter erleben EINE, DIE es zu entdecken gilt: Wirkliche Frauen, die uns aus dem Alltag vertraut sind oder deren Schatten den eigenen in einer fremden Stadt für einen kurzen Moment überblendet hat. Literarische Figuren, die weiterleben außerhalb ihrer Werke. Emily Dickinsons »Eine, deren Vertrauen ihr Ungefähr ordnet.« Dunja Barnes‘ »Eine, an der alles gezügelt scheint vom Zaumzeug des Schmerzes.« Oder Marlen Haushofers »Eine, die weiß, dass es keine Gedanken, keine Erinnerungen, nur das große, stille Schneelicht gibt, und dass diese Vorstellung für einen einsamen Menschen gefährlich sein kann, und die doch nicht die Kraft aufbringt, sich dagegen zu wehren.« Wie jeder Schauspieler Figuren interpretiert, interpretiert jeder Betrachter Figuren. Auch aus diesem Buch wird jeder anderes mitnehmen, sich an andere Blicke, andere Sätze erinnern, die jeweils eine andere Stelle im eigenen Innen berühren, und die eine Anregung sein können, sich im eigenen Gespinst von Erinnerungen an reale und fiktive Begegnungen zu verorten.

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