Im Interview
»In der Tat gibt es wirkliche Gleichberechtigung erst dann, wenn Frauen die Chance und die Macht haben, die gleichen Fehler zu machen wie Männer. Das bedeutet aber nicht, dass sie sie auch machen müssen.«
Fünf Fragen an Susanne Krones …
Was ist gute Literatur?
»Gute Literatur ist unabhängig von Zeit und Raum. Gute Literatur differenziert – obwohl sie Allgemeingültiges schafft, verallgemeinert sie nicht. Gute Literatur ist ihr eigener Maßstab.«
Warum sollte eine Gesellschaft größte Kraftanstrengungen auf sich nehmen, um Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Bildung zu bieten?
»Kindern und Jugendlichen die bestmöglichen Bildungschancen zu bieten, ist im ureigensten Interesse der Gesellschaft: Diese Kinder und Jugendlichen werden in wenigen Jahren unsere Autos bauen, unsere Konzerne leiten, die Leitartikel in unseren Zeitungen schreiben, unsere Politik verantworten, unsere Enkel erziehen, die Probleme der Globalisierung lösen oder vor ihnen versagen. Ich möchte diese Verantwortung in die Hände gebildeter Persönlichkeiten übergeben wissen, nicht in die ausgebildeter Fachidioten, deren Blickfeld von ihren persönlichen Scheuklappen und den blinden Flecken ihrer jeweiligen Disziplin beschnitten ist.«
Was kennzeichnet einen gebildeten Menschen?
»Gebildete Menschen haben die Fähigkeit, Sachverhalte ins Verhältnis zu setzen und außerhalb bestehender Muster zu argumentieren. Sie haben die Gelassenheit, eigene Positionen zu entwickeln, daran festzuhalten und doch in jedem Moment offen zu sein für Neues. Weil sie relativieren können, denken sie unabhängig und verfügen über die wichtigste aller Fähigkeiten: die zur Selbstreflexion.«
Was kann nur das gedruckte Wort?
»Literatur, fiktionale und nichtfiktionale, öffnet auf ihre jeweils eigene Weise den Zugang in andere Welten. Anders als die audiovisuellen Medien überlassen gedruckte Medien ihren Lesern die Souveränität, diese Welten auf eigenen Pfaden und im eigenen Tempo zu durchmessen. Sie allein lassen Raum für eigene Bilder im Kopf, weshalb sie auch in der Medienkonkurrenz mit den audiovisuellen Medien dauerhaft Bestand haben werden: Weil sie ein unverzichtbares Medium für die Begegnung mit uns selbst sind.«
Für Meredith Haafs ist die Option, sich einfach gehen zu lassen wie Männer, eine wichtige Korrektur des gültigen Frauenbildes. Wirkliche Gleichberechtigung, so Haafs, wird es erst geben, wenn Frauen sich all die Handlungsspielräume nehmen, die bisher Männern vorbehalten waren. Und dazu gehören auch die dunklen Ecken – die, die nach Schnaps und Erbrochenem riechen. Was antworten Sie ihr?
»Wenn damit gemeint ist, keinem übersteigerten Perfektionismus zu erliegen, die Vorsicht abzulegen, etwas lieber nicht zu tun, weil es vielleicht nicht hundertprozentig gelingen könnte und die Angst zu verlieren, Verantwortung zu übernehmen, weil Fehler dann Konsequenzen haben – einverstanden. Wenn damit gemeint ist, seine Selbstdisziplin zu verlieren, Verantwortung zu vernachlässigen, Macht zu missbrauchen und sich selbst und anderen dabei zu schaden – danke, nein. In der Tat gibt es wirkliche Gleichberechtigung erst dann, wenn Frauen die Chance und die Macht haben, die gleichen Fehler zu machen wie Männer. Das bedeutet aber nicht, dass sie sie auch machen müssen.«