Miranda July. Zehn Wahrheiten in fünfzehn Erzählungen

Von Susanne Krones (EMOTION 4/2012, online) – Miranda July ist eine, die alles kann. Und alles macht: Kunst, Performance, Film und Literatur. Eine, die alles weiß: Über uns. Ihre Geschichten erzählen von Nähe und Einsamkeit, Individualität und Obsessionen, vom Zauber des Alltags – und von uns selbst.

Miranda July ist eine, die alles kann: 1979 in den USA geboren, macht die Amerikanerin heute Kunst, Performance, Film, Literatur. Auf jeder ihrer Bühnen agiert sie stilsicher und kühn. Ihr Prosaband »Zehn Wahrheiten«, von Clara Drechsler und Harald Hellmann ins Deutsche übersetzt, versammelt fünfzehn Erzählungen, die Miranda Julys literarisches Universum konstituieren.

Julys Beobachtungen sind faszinierend genau, sie erzählt pointiert und lebensklug, melancholisch und heiter zugleich von Menschen (meist jungen Frauen), die sonderbar schräg in der Welt stehen. Sie erzählt von Obsessionen, hoffnungslosen Liebschaften, möblierten Luftschlössern und vergeblichen Versuchen, menschliche Nähe herzustellen oder aufzulösen: »Wir waren Papierdrachen, die es in entgegengesetzte Richtungen zog, doch die Leinen wurden von einer Hand gehalten.«

Bewohnerinnen eines Universums

Julys geniale Aphorismen, die anfangs wie Zaubersprüche wirken, erweisen sich als tückischer Hinterhalt, in dem sich ihre Figuren verfangen: Sie schauen zum Himmel, »nur so, um zu wissen wie das ist«. Sie tragen ihre Träume mit sich herum wie randvolle Gläser Wasser, »mit betont gemessenen Bewegungen, um nichts zu verschütten«. Sie hetzen durchs Leben, als sei jemand hinter ihnen her, bekommen zu ihrem eigenen Entsetzen Hunger, »die Art des Körpers, Hoffnung auszudrücken.« Wenn sie mit anderen Leuten im Whirlpool sitzen und zum nächtlichen Sternenhimmel hoch schauen, dann sind sie immer die Ersten, die fragen: »Ist das nicht schön hier? Je eher man sagt: Ist das nicht schön hier?, desto eher kann man sagen: Puh, jetzt wird mir aber zu warm.«

Welt auf Abruf

Alles scheint auf Abruf zu sein in dieser Welt. Jede Identität scheint vorläufig, übergezogen, um den Vorstellungen anderer zu entsprechen und sich in der Wahrnehmung anderer zu erkennen, die selbst nicht die Zeit haben, ihre Gegenüber wahrzunehmen. »Ich schaute aus dem Fenster und versuchte zu erkennen, wofür die Passanten mich hielten, wenn sie meinen Wagen sahen. Aber sie sahen meinen Wagen gar nicht an, sie blickten nach innen. Sie waren in Gedanken bei sich selbst und ihren Autos; sie machten Liebe mit ihrer Eile.«

Miranda Julys großes Verdienst ist es, dass sie diese irrwitzig schnelle Spirale für einen langen Augenblick zum Stehen bringt und uns das scharf sehen lässt, was uns während unseres eigenen Alltags nur verschwommen begegnet.

Miranda July: Zehn Wahrheiten: Diogenes: Zürich 2009 (Tb.)

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